Volltext: Jahresbericht 1987 (1987)

CY TWOMBLY, VENGEANCE OF ACHILLES 
(DIE RACHE DES ACHILL), ROM 1962 
Öl, Farbkreide und Bleistift auf Leinwand, 300 x 175 cm 
Signiert und datiert rechts unten: Cy Twombly Roma 1962 
Bezeichnet rechts unten: Vengeance of Achilles. 
Cy Twombly hat sich 1957 nach Rom zurückgezogen, ın 
der Zeit, als New York Paris als Kunstmetropole ablöste 
und die Hegemonie Amerikas schwer auf der europäischen 
Kultur und Kunst lastete. Sein Weggehen wirkte sich zwar 
für den Künstler in der Rezeption in Amerika negativ aus, 
doch für sein Werk und für uns war die Übersiedlung eines 
mit den Freiheiten des abstrakten Expressionismus 
vertrauten in die geschichtsträchtige Metropole am Tiber 
ein unschätzbarer Gewinn. Die Freiheit von Bildgegen- 
stand und Komposition, der psychisch motivierte Gestus, 
die Öffnung des Bildraums, die Verwendung der Linie und 
der Farbmaterie als Substanzen, das grosse Format und die 
Herausforderung des schöpferischen Ichs in der Konfron- 
tation mit dem virtuellen Raum des Bildfeldes gehen in 
Twomblys Werk die Verbindung, die um so impulsiver mit 
dem Mythos der mediterranen Kultur und dem Licht des 
Südens, ein. Und führt zu Bildwürfen wie unser Hoch- 
format, einer geballten Ladung: «Die Rache des Achill.» 
Einzige Form ist eine nach unten sich öffnende Spitze ın 
der Form eines über grossen A, dessen spitzen Teil mit roter 
Farbmaterie in abrupten Stücken mit Pinsel und Finger 
intensivst erfüllt, dessen unterer Teil durch die grosszügig 
atmenden ungeschickt scheinenden, aber raffiniert hin- 
geworfenen Linien wie zum Körpermantel wird. All das in 
die weisse Bildfläche gesetzt, intensiv und luzid, frontal 
und allseitig offen, einfach und vibrierend. A und Spitze 
sind Schlüsselworte und -formen des hier festgehaltenen 
Geschehens: Achill, der Held der Griechen zieht sich, 
beleidigt durch Agamemnon, mit den Seinen im zehnten 
Jahr der Schlacht um Troja aus dem Kampf zurück. Das 
Kriegsglück wendet sich zugunsten der Trojaner, worauf 
Achill seinem Freund Patroklos erlaubt, seine Truppen 
gegen Troja zu führen. Patroklos trägt die Rüstung Achills. 
Er treibt die Trojaner zurück, wird aber von Hektor getötet. 
Die Nachricht treibt Achill. seinen Trotz brechend, zornig 
und rachesuchend in den Kampf. Er wütet und erschlägt 
alle, die seinen Weg kreuzen, zuletzt auch Hektor, den eı 
mit seinem Speer, den nur er zu schwingen weiss, durch 
bohrt. Den Leichnam Hektors bindet er an seinen Streit 
wagen, schleift ihn von den Mauern Trojas zum Grabe des 
Patroklos. Die Dominante des Bildes ist die blutige Speer 
spitze, die gleichzeitig der obere spitze Teil des Buchstaben: 
A ist: A=Achill. Die Linien des unteren Teils markieren 
die Bündelung der Energie, die in die raketengleich nach 
oben und vorwärts schiessende blutige Spitze drängt. 
Der untere Teil des Bildes ist frei von Strichen, aus deı 
Verletzlichkeit entsteht die Aggression. Verletzlich waı 
Achill nur an seiner Ferse, an der ihn Paris mit einem Pfeil 
trıfft und tötet. 
Diese Bündelung von Linien und Farbspuren, aber auch 
dieses Konzentrat an fast mess- und wägbaren bild 
nerischen Elementen auf weissem Grund lässt die Gestalt 
der Rache, der blutigen Vernichtung vibrieren. Und die 
«gaucherie» der Strichführung und die Vehemenz des 
Farbauftrages in der Spitze erzeugen eine Dynamik, die des 
einen Leitform Energien eines überwältigenden Ereignisses 
mitteilt und freisetzt: die luzide und blinde Rache des einen 
ist auch der gewaltsame Tod des andern. Der Mut 
Twomblys, ein komplexes Geschehen, eine psychische und 
physische Entladung, eine fundamentale Aggression Sc 
einfach zu bannen, als Energiediagramm eines auf ein A 
oder eine Speerspitze vibrierend Reduziertes, ist bewun; 
dernswert. Das Bild ist der Ort des Zusammenpralls und 
der Vereinigung der befreiten Linien und der Farbe mil 
dem Inhalt, dem neue Kraft zufliesst. Mythos ist nich! 
Ausdeutung, sondern ein energetisch zu Erneuerndes. Nu! 
so lebt er weiter. 
Twombly’s «Vengeance of Achilles» von 1962 ist noch 
ein Einzelbild. Es gehört in die Reihe der Bilder, die Hel 
dentum, Gewalt und Tod thematisieren. Wie «Discourse 
on Commodus I-IX» oder «Ides of March» ist es ein Hoch: 
format, die der Künstler bevorzugt, wenn es um die 
Fassung der Energiepotentiale menschlicher Psyche geht 
1977/78 hat Twombly in seinem zehnteiligen Zyklus «Fifty 
Days at Iliam» dasselbe Thema als drittes Bild noch einma!
	        
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