Volltext: Jahresbericht 1987 (1987)

senden Leichnam eine neue Vegetation erwächst.” Edvard 
Munch ist nicht von ungefähr einer der Maler, die Droese 
zu seinen Anregern zählt und die dem ihm Eigenen stark 
entgegenkommen. 
Die über den Toten gebeugte Trauernde vergiesst ihre 
Tränen in einem roten Strom, der sich einerseits wie ein 
Blutsturz auf den Boden ergiesst, andererseits als Strahlen- 
bündel aus den Augen heraustritt. Dieses eindrückliche 
Bildmotiv, das sich durch Droeses gesamtes Werk zieht, 
verweist auf seine Vorstellung, dass Geistiges und Seelisches 
im Menschen gebildet wird und dass die eigentlichen Bilder 
nicht in das Auge hinein-, sondern aus ihm heraustreten. 
Das Auge ist für Droese ein Lichtorgan, das etwas Selbst- 
leuchtendes hat. Das Selbstleuchtende verbildlicht er mit 
den roten Ausstrahlungen, die man zunächst einmal mit 
Blutströmen assoziiert. In einem Blatt wie «Bluter» von 
1981 (Abb. Nr. 22), in dem Droese auch mit dem Titel auf 
solche Doppeldeutigkeiten anspielt, hat man den 
Eindruck, dass das rote Rinnsal eher aus einem erblindeten 
als aus einem sehenden Auge fliesst. Damit spricht Droese 
an, dass Blinde mit dem inneren Auge sehen, was unmit- 
telbar an C.D. Friedrichs berühmte Forderung an den 
Künstler denken lässt: «Schliesse dein leibliches Auge, 
damit du mit dem geistigen Auge zuerst siehst dein Bild. 
Dann fördere zutage, was du im Dunkeln gesehen, dass es 
zurückwirke auf andere von aussen nach innen.» Das 
blutende Auge enthält auch Anspielungen auf Märtyrer, 
deren Augen geblendet wurden. Das im weitesten Sinne 
«verletzte» Auge wäre somit nicht nur Ausdruck von 
Trauer. 
Der «Bluter» ist mit seinen ausfransenden Konturen in dem 
wässrig-transparenten Grau so schemenhaft und körperlos 
gezeichnet, dass er wie der Schatten seiner selbst erscheint. 
Seine «eigentliche» Gestalt scheint erst durch ihn hindurch 
sichtbar zu werden. Das erinnert an einen von Droese 
zitierten Text von Kierkegaard, ın dem von «Schatten- 
rissen» die Rede ist und von dem «inneren Bild», das man 
erst bemerkt, wenn man durch das Äussere hindurch- 
dlickt.® Der «Bluter», in dem man eine Selbstdarstellung des 
Künstlers sehen darf, blutet nicht nur aus dem Auge, 
sondern vergiesst auch sein «Herzblut», ist also als Lebens- 
opfer dargestellt. Zahlreiche Werke Droeses berichten von 
Selbstopfer und Opfertod, wobei aus Titeln wie «Wit 
Bettler und Verbrecher» oder «Ich habe Anne Frank umge: 
bracht» hervorgeht, dass er sich dabei selbst miteinbezieht. 
Droese geht es bei der religiösen Thematik um die aktuelle 
Auseinandersetzung, um die Auslegung in neuzeitlicher 
Weise. Auch Motive wie die «Rückkehr des verlorenen 
Sohnes»? sind nicht direkt von der Legende ableitbar. 
sondern sind im Sinne der Suche nach der Bestimmung des 
Menschen, nach seinem sozialen Auftrag zu verstehen. Die 
Zartheit der Begegnung der beiden einander zugeneigten 
Menschen kommt in der empfindsam und zögernd 
geführten Umrisslinie und in den verhaltenen braunrosa 
und grünlichen Tönen zum Ausdruck. Der immer wieder 
unterbrochene Duktus und das unregelmässige An- und 
Abschwellen des Strichs vermittelt ein Gefühl für die 
Gefährdetheit dieser Situation. Nicht von ungefähr sind 
die beiden hinterfangen von einem dunklen «Durchgang», 
der an einen Grabstein denken lässt. Dessen Beziehung zu 
der dunklen Grabsteinform mit den grossen Lettern «Du 
weisst» ın dem gleichnamigen Werk von 1982'° scheint das 
Memento morni zu bekräftigen. 
In dem Blatt mit der «Rückkehr des verlorenen Sohnes 
zeigt sich erneut, wie sehr die neuartige Farbigkeit Droeses 
den Ausdruck seiner Werke bestimmt. In ihrer erdigen 
Gebrochenheit vermittelt sie das Gefühl von Vergänglich- 
keit und Schutzlosigkeit. Trotz ihrer «Verschmutzung» 
sind die Farben jedoch transparent und lichthaltig. Odeı 
ruft gerade der Schmutz das Gegenteil, die Vorstellung von 
Licht hervor? Joseph Beuys hat immer wieder zum 
Ausdruck gebracht, dass er mit seinen düsteren Farben, 
zum Beispiel dem berühmten Beuys-Braun, in einem 
Gegenbildprozess im Menschen «eine klare, lichte, unter 
Umständen eine übersinnliche geistige Welt» provozieren 
will. Das Material hat bei Beuys «Vehikelfunktion», wichtig 
ist ihm dessen Fähigkeit, Bedeutungsträger zu sein und auf 
geistige Prozesse zu verweisen. Das sinnliche Material 
bedeutet ihm etwas Übersinnliches, es wird transzendiert.” 
Droese ist als Beuys-Schüler mit solchen Gedankengängen 
vertraut. Seine Gestaltung unterscheidet sich jedoch in 
wichtigen Punkten von Beuys. Seine Materialien sind nicht 
Bedeutungsträger, sondern sie stellen «Erscheinungen» dar.
	        
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