senden Leichnam eine neue Vegetation erwächst.” Edvard
Munch ist nicht von ungefähr einer der Maler, die Droese
zu seinen Anregern zählt und die dem ihm Eigenen stark
entgegenkommen.
Die über den Toten gebeugte Trauernde vergiesst ihre
Tränen in einem roten Strom, der sich einerseits wie ein
Blutsturz auf den Boden ergiesst, andererseits als Strahlen-
bündel aus den Augen heraustritt. Dieses eindrückliche
Bildmotiv, das sich durch Droeses gesamtes Werk zieht,
verweist auf seine Vorstellung, dass Geistiges und Seelisches
im Menschen gebildet wird und dass die eigentlichen Bilder
nicht in das Auge hinein-, sondern aus ihm heraustreten.
Das Auge ist für Droese ein Lichtorgan, das etwas Selbst-
leuchtendes hat. Das Selbstleuchtende verbildlicht er mit
den roten Ausstrahlungen, die man zunächst einmal mit
Blutströmen assoziiert. In einem Blatt wie «Bluter» von
1981 (Abb. Nr. 22), in dem Droese auch mit dem Titel auf
solche Doppeldeutigkeiten anspielt, hat man den
Eindruck, dass das rote Rinnsal eher aus einem erblindeten
als aus einem sehenden Auge fliesst. Damit spricht Droese
an, dass Blinde mit dem inneren Auge sehen, was unmit-
telbar an C.D. Friedrichs berühmte Forderung an den
Künstler denken lässt: «Schliesse dein leibliches Auge,
damit du mit dem geistigen Auge zuerst siehst dein Bild.
Dann fördere zutage, was du im Dunkeln gesehen, dass es
zurückwirke auf andere von aussen nach innen.» Das
blutende Auge enthält auch Anspielungen auf Märtyrer,
deren Augen geblendet wurden. Das im weitesten Sinne
«verletzte» Auge wäre somit nicht nur Ausdruck von
Trauer.
Der «Bluter» ist mit seinen ausfransenden Konturen in dem
wässrig-transparenten Grau so schemenhaft und körperlos
gezeichnet, dass er wie der Schatten seiner selbst erscheint.
Seine «eigentliche» Gestalt scheint erst durch ihn hindurch
sichtbar zu werden. Das erinnert an einen von Droese
zitierten Text von Kierkegaard, ın dem von «Schatten-
rissen» die Rede ist und von dem «inneren Bild», das man
erst bemerkt, wenn man durch das Äussere hindurch-
dlickt.® Der «Bluter», in dem man eine Selbstdarstellung des
Künstlers sehen darf, blutet nicht nur aus dem Auge,
sondern vergiesst auch sein «Herzblut», ist also als Lebens-
opfer dargestellt. Zahlreiche Werke Droeses berichten von
Selbstopfer und Opfertod, wobei aus Titeln wie «Wit
Bettler und Verbrecher» oder «Ich habe Anne Frank umge:
bracht» hervorgeht, dass er sich dabei selbst miteinbezieht.
Droese geht es bei der religiösen Thematik um die aktuelle
Auseinandersetzung, um die Auslegung in neuzeitlicher
Weise. Auch Motive wie die «Rückkehr des verlorenen
Sohnes»? sind nicht direkt von der Legende ableitbar.
sondern sind im Sinne der Suche nach der Bestimmung des
Menschen, nach seinem sozialen Auftrag zu verstehen. Die
Zartheit der Begegnung der beiden einander zugeneigten
Menschen kommt in der empfindsam und zögernd
geführten Umrisslinie und in den verhaltenen braunrosa
und grünlichen Tönen zum Ausdruck. Der immer wieder
unterbrochene Duktus und das unregelmässige An- und
Abschwellen des Strichs vermittelt ein Gefühl für die
Gefährdetheit dieser Situation. Nicht von ungefähr sind
die beiden hinterfangen von einem dunklen «Durchgang»,
der an einen Grabstein denken lässt. Dessen Beziehung zu
der dunklen Grabsteinform mit den grossen Lettern «Du
weisst» ın dem gleichnamigen Werk von 1982'° scheint das
Memento morni zu bekräftigen.
In dem Blatt mit der «Rückkehr des verlorenen Sohnes
zeigt sich erneut, wie sehr die neuartige Farbigkeit Droeses
den Ausdruck seiner Werke bestimmt. In ihrer erdigen
Gebrochenheit vermittelt sie das Gefühl von Vergänglich-
keit und Schutzlosigkeit. Trotz ihrer «Verschmutzung»
sind die Farben jedoch transparent und lichthaltig. Odeı
ruft gerade der Schmutz das Gegenteil, die Vorstellung von
Licht hervor? Joseph Beuys hat immer wieder zum
Ausdruck gebracht, dass er mit seinen düsteren Farben,
zum Beispiel dem berühmten Beuys-Braun, in einem
Gegenbildprozess im Menschen «eine klare, lichte, unter
Umständen eine übersinnliche geistige Welt» provozieren
will. Das Material hat bei Beuys «Vehikelfunktion», wichtig
ist ihm dessen Fähigkeit, Bedeutungsträger zu sein und auf
geistige Prozesse zu verweisen. Das sinnliche Material
bedeutet ihm etwas Übersinnliches, es wird transzendiert.”
Droese ist als Beuys-Schüler mit solchen Gedankengängen
vertraut. Seine Gestaltung unterscheidet sich jedoch in
wichtigen Punkten von Beuys. Seine Materialien sind nicht
Bedeutungsträger, sondern sie stellen «Erscheinungen» dar.