Der oberflächlich beschreibende Titel hilft nicht weiter —
vielmehr drängt sich die Frage auf, ob man angesichts von
anthropo- und zoomorphen Figuren in einer Landschaft
von einem Stilleben sprechen kann. Diese Frage lässt sich
aus Kokoschkas Sicht bejahen, wenn man die Entwicklung
der unserem Bild vorangegangenen Stilleben verfolgt.
Von den rund 100 Bildern, die vor dem ersten Weltkrieg
entstanden sind, können nur vier Werke der Gattung Stil-
jeben zugewiesen werden, wobei bereits das erste dieser
Bilder, «Stilleben mit Ananas», 1909, in ikonographischer
Hinsicht wegen der Darstellung exotischer Früchte - neben
Ananas auch Bananen - von der europäischen Stilleben-
Tradition abweicht. Auch wenn dieses früheste Stilleben
Kokoschkas, das eine offensichtliche Auseinandersetzung
mit Van Gogh zeigt, neue Wege beschritten hat, wirkt es
doch relativ konventionell gegenüber dem nur wenig
später entstandenen «Stilleben mit Hammel und
Hyazinthe», 1910.2 In seinem autobiographischen Buch
«Mein Leben» beschreibt der Künstler ausführlich die
Entstehungsgeschichte dieses Bildes.?
In diesem Bild vereinigt Kokoschka Gegenstände, die er im
Hause des Sammlers Oskar Reichel gefunden hat,
nachdem er dessen Sohn portraitiert hatte.!® Diese Gegen-
;stände sind zwar alltäglich, jedoch bewusst gewählt.
Wichtig in unserem Zusammenhang ist die Tatsache, dass
aus dem mehr oder weniger zufälligen Erleben des Künst-
lers ein Bild entsteht, das eine über das Individuelle hinaus-
reichende Botschaft vermittelt: Es handelt sich um ein
memento mori. Die Todesallegorie ist in der älteren euro-
päischen Stillebenmalerei keine Seltenheit, ist aber in der
Kunst der Jahrhundertwende eher selten anzutreffen.
Oskar Kokoschka, in dessen Werk sich stets Bezüge und
Auseinandersetzungen mit älteren Traditionen feststellen
lassen, nimmt wohl als einziger Künstler seiner Generation
diesbezügliche Anregungen auf, die letztlich Grundlage
seines sehr persönlichen Beitrages zum Expressionismus
bilden.
Erst 1913 entstand das nächste Stilleben, in dem sich auf
:inem Tisch erneut ein gehäuteter Schafsbock findet, flan-
kiert von einem toten Hasen sowie einer Katze.!! Auch
wenn dieses dritte Stilleben im Vergleich zum zweiten und
vor allem auch zum vierten nicht dieselbe Stringenz der
Aussage aufweist, nimmt es doch wichtige Elemente des
unmittelbar darauf folgenden Stillebens vorweg: die Ge:
genüberstellung von Hase und Katze sowie auch die merk-
würdige Ambivalenz des Raumes, die zwischen Innenraum
und Landschaft zu schwanken scheint. Gerade diese
Öffnung des Raumes erleichtert es auch, unser Bild der
Gattung Stilleben zuzuweisen, auch wenn es letztlich
zwischen den Gattungen steht und sich auch mit keinem
andern Bild vergleichen lässt.
Der Schlüssel zum Verständnis dieses Bildes liegt erneut in
Kokoschkas unmittelbar persönlichem Erleben und zwar
in der überaus stürmischen Liebes- und Leidensbeziehung
zu Alma Mahler. 1912 hat Kokoschka die Stieftochter des
Malers Karl Moll und Witwe des Komponisten Gustav
Mahler kennengelernt. Wenn im wohl berühmtesten Ge-
mälde Kokoschkas, der «Windsbraut»! der Überschwang
der Gefühle im wörtlichen und übertragenen Sinne eine
unvergleichliche, bildhafte Form gefunden hat, so muss
unser Bild als dessen Gegenstück gesehen werden.
Was ist geschehen? In seinen Lebenserinnerungen fasst es
Kokoschka wie folgt zusammen: «Der Gesellschaftstratsch
und die guten Ratschläge der Freunde hatten nur mitgeholfen,
dass Alma Mahler ihren schon erwogenen Entschluss durch-
führte, in die Klinik ging und sich das Kind, mein Kind, nehmen
Kess.» Und etwas später: «Warum mein Verhältnis bereits vor
dem Krieg zu Ende gegangen ist, daran war diese Operation in
der Klinik in Wien schuld, die ich Alma Mahler nicht verzeihen
wollte. Man darf aus Lässigkeit das Werden eines Lebewesens
nicht absichtlich verhindern. Es war ein Eingriff auch in meine
Entwicklung, das ist doch einleuchtend. Einer konstanten
geistigen Anstrengung bedarf es, dessen bewusst zu bleiben, was
Leben heisst. Man darf sich nicht damit zufrieden geben, dass
man vegetiert.»3 In «Stilleben mit Putto und Kaninchen» ist
dieses Drama bildhaft geworden. Von einem toten Baum
an den linken Bildrand gedrängt, hat Kokoschka das tote
Kind mit den verkniffen karikierenden Gesichtszügen
von Alma Mahler gesetzt; die rechte Hand des Kindes
nimmt ein Motiv auf, das in Kokoschkas Werk wiederholt
als Leidensgestus Verwendung findet. Auch die zum Raub-