Gotteshaus steht, für das er geschaffen wurde, ist das vom
Bürgermeister Peter Rot für die Basler Barfüsserkirche
bestellte Retabel.* Stilistisch eng verwandt, dürfte es vom
selben Meister wie die Zürcher Tafeln stammen. Gleich
hoch, aber merklich steiler proportioniert, zeigt auch die-
ses auf der Aussenseite eine einzige Szene, die Auferstehung
Christi. So lag es nahe, das Profil des originalen Basler
Rahmens bei der Zürcher Rekonstruktion zu kopieren,
denn eine solche Einfassung bildet einen unverzichtbaren
Bestandteil der ästhetischen Wirkung älterer Gemälde:
ihre Modellvorstellung ist seit van Eyck und Leon Batti-
sta Alberti der Blick aus dem Fenster. Entsprechend muss-
te auch der räumliche Zusammenhang durch andeutende
Ergänzungen unseres Restaurators Paul Pfister oben links
und unten rechts wieder geschlossen werden. Nur so
konnte zugleich das in der nordischen Spätgotik ent-
scheidende expressive Gefüge der Dinge in der Bildfläche
zurückgewonnen werden. In diesem nicht von der Zen-
tralperspektive, sondern vom Blick geformten Raum“
bestimmen Ausdruck und Einbindung in eine der Erzäh-
lung dienende Struktur die Stelle der einzelnen Gegen-
stände. Dass Vorder- und Hinterteil von Ochs und Esel
nun wieder exakt zusammenstimmen, gibt ihnen neues
Leben; noch wichtiger ist, dass das Gefüge des Daches,
der Sparren und Balken in parallelen Diagonalen und
doppeltem Knick den Blick der Maria zum Kind kompo-
sitorisch begleitet und aktiviert und die kunstvolle
Rhythmik des Bildes wieder zusammenklingt.
So ist das Werk, das kaum eine Generation seiner
ursprünglichen Funktion diente, nach einem halben Jahr-
tausend soweit wie möglich wieder hergestellt. Namen
und Wappen der einstigen Stifter sınd vergessen und ver-
schollen; doch im Museum verbindet sich diskret, aber
für die betreffende Familie und ihre Nachkommen doch
bedeutungsvoll, ein neuer Stiftername mit dem alten
Werk. Statt zum Seelenheil dient es nun dem kollektiven
Gedächtnis und dem ästhetischen Genuss einer profanen
Öffentlichkeit. Statt in einem liturgischen Zusammen-
hang steht es hier in einem kunsthistorischen: umgeben
von Gemälden der anderen «Nelkenmeister», jener im
späten 15. Jahrhundert in der Schweiz führenden Maler,
die ihre Tafeln mit einer roten und einer weissen Nelke
bezeichneten.® Von diesen steht es dem Hauptwerk der
Gruppe, dem Hochaltar der Fryburger Franziskanerkirche
am nächsten. 1479 bei dem Solothurner Stadtmaler Alb-
recht Nentz in Auftrag gegeben, war er bei dessen frühem
Tod Ende Juli des gleichen Jahres erst «etwas zubereitet».
Der Basler Bartholomäus Ruthenzweig übernahm mit der
Bedingung, sich in Solothurn niederzulassen, das Werk,
«daz er mit zubereiten und malen durch knecht
gemacht.»” Doch statt zu übersiedeln, empfahl er auf Pro-
teste hin seinen guten Gesellen Paulus von Strassburg, der
die Witwe des Albrecht Nentz heiratete und bis 1492 als
Stadtmaler der Solothurner amtete. 1488 und wieder von
1494 bis 1499 ist ein angesehener Meister Paul, Mitglied
des Grossen Rates, in Bern bezeugt; in der Schlacht bei
Dornach fällt ein Meister Paul Löwensprung - «ein kunst-
richer maler, nit ein krieger».? Ob sich alle oder ein Teil
dieser Nennungen auf denselben Mann beziehen und ob
dieser am Fryburger Altar mitgewirkt hat, lässt sich nicht
schlüssig beweisen.” Da der neu geschenkte Altarflügel
aus altem Berner Patrizierbesitz stammt — die ältere Pro-
venienz aus Schloss Worb und dem Berner Münster ver-
liert sich ins Sagenhafte!® — und der gleichen Werkstatt der
Gregoraltar aus Brig im Landesmuseum entstammt, ist
eine Identifizierung verlockend. Paulus wäre um 1455/60
in Strassburg geboren, hätte in der Basler Ruthenzweig-
Werkstatt an dem vor 1480 entstandenen Peter Rot-Altar
mitgewirkt, von 1480 bis 1492 in Solothurn gearbeitet und
anschliessend in Bern u.a. die Geburt Christi gemalt, bevor
er 1499 in Dornach fiel.
Die künstlerische Qualität, d.h. die plastische Präsenz
der Figuren und die Dichte der Komposition, nimmt
gleichmässig vom Fryburger Hauptwerk über den Rot-
Altar und die Zürcher Flügel bis zu dem Altar aus Brig ab;
an der stilistischen Grundlage ändert sich dabei kaum
etwas. Die oberrheinische Kunstlandschaft kennt im
15.Jahrhundert einen regen Austausch zwischen den grös-
seren — Strassburg, Basel - und den kleineren Zentren:
Hans Tieffenthal etwa, von dem sich eine Kreuzigung von
ca. 1420 in Colmar erhalten hat, wandert nach seiner Aus-
bildung in Schlettstatt nach Basel, kehrt nach Schlettstatt
zurück, ist dann einige Zeit in Strassburg bezeugt und
stirbt in Basel.! Die Individualität des Stils ist schon
durch die geläufige Arbeitsteilung in den Werkstätten
wenig ausgeprägt; selbst bei dem in Colmar tätigen Mar-