tin Schongauer, dem führenden oberdeutschen Maler sei-
ner Generation, zeigen nur die kleinen Kabinettbilder
und die sehr einflussreichen Kupferstiche eine markante
persönliche Handschrift. Seine beiden Weihnachtsdar-
stellungen hinterliessen auch bei unseren Flügeln Spuren,
etwa in der eher ungewöhnlichen Anordnung des Mantels
der Maria und der zentralen Stellung von Ochs und Esel;
doch gibt es keine exakten Zitate, wie dies nun öfters vor-
kommt. Die Gesichter und die stehenden Heiligen der
Innenseiten erinnern an die gleichzeitige Skulptur, die an
den Altären in unmittelbarer Nachbarschaft zu den
Gemälden trat; gelegentlich wurden beide Gattungen in
derselben Werkstatt oder sogar von den gleichen Künst-
lern gepflegt. Die statuarische Vereinzelung und die
betonte Standplatte von Katharina und Barbara lassen
auch hier einen Mittelschrein mit geschnitzten und farbig
gefassten Figuren als das passendste erscheinen.
Das künstlerische Ziel des Meisters war es, ein
Andachtsbild zu schaffen. Die in der Anbetung des Kin-
des versunkene Maria ist zugleich Gegenstand und Vor-
bild der religiösen Hingabe des vor dem Altar betenden
Betrachters. Diese Ausrichtung ist nicht selbstverständ-
lich; ältere Weihnachtsdarstellungen haben meist symbo-
lischen und hieratischen Charakter, dann dominieren bis
ins frühere 15. Jahrhundert die erzählerischen Elemente.?
Unser Maler aber richtet seine Gestaltung ganz auf die
Bedürfnisse des Andächtigen aus: eine scheinbar kunst-
lose und «naiv» abbildungshafte Formgebung lässt ihn
in die Bildwirklichkeit wie in etwas Alltägliches eintre-
ten; ein paar unaufdringlich realistische Details, das ver-
witterte Holzwerk, der Landschaftsausblick, die Krippe,
vermitteln greifbare Lebensnähe. In meisterhafter Selbst-
verständlichkeit vermag aber nun der Maler diese Schein-
wirklichkeit auf die geistlichen Gehalte hin zu modulie-
ren. So fällt zunächst die ausgeprägt antinaturalistische
«Bedeutungsgrösse» der Figuren kaum auf, die die Augen
auf der übergrossen Gottesmutter ruhen lässt. Ebenso
gehorcht die Gestaltung von Gemäuer und Stall keiner
architektonischen oder funktionalen Logik, sondern den
Anmutungsqualitäten eines Schutzdaches über dem
Christkind oder dem Lenken und Fassen des Blickes im
Bild. Durch die Anordnung von Ochs und Esel wird so
die ganz enge Verbindung von Maria und dem Kind ver-
mittelt; die zurückhaltende Formgebung und geringe
Grösse der Tiere bindet nicht mehr Aufmerksamkeit, als
ihnen gebührt. Wie Joseph, die Hirten, die Engel und die
Blumen stellen sie eine kleine, in sich geschlossene Bedeu-
tungseinheit dar, die in den grossen Rhythmus um die bei-
den Hauptfiguren als Nebenthemen eingefügt sind. Es
sind die kleinen wunderbaren Begebenheiten, die das Welt
erlösende Wunder der Menschwerdung Gottes bezeugen.
Nur Ochs und Esel waren bei der Geburt gegenwärtig;
durch ihre andächtigen Gesichter brachte der Maler zum
Ausdruck, dass sie als erste Kreaturen den Gottessohn
erkannten, wie schon Jesaias weissagte: «Das Rind kennt
seinen Meister und der Esel die Krippe seines Herrn.»
Joseph war kurz hinausgegangen, wie der heiligen Brigitte
von Schweden auf ihrer Pilgerfahrt ins Heilige Land 1372
in einer Vision offenbart wurde; als er zurückkam, über-
strahlte der Glanz des Neugeborenen den Schein seiner
Kerze völlig. So bedeutet im Bild die brennende Kerze,
dass es eigentlich Nacht ist, diese aber durch das Erschei-
nen des Erlösers mit der Helligkeit des Tages erfüllt wird.
Das Weihnachtsfest wurde nicht von ungefähr von Kaiser
Konstantin auf den Geburtstag des «Sol invictus», der
Wiederauferstehung der Sonne nach ihrem niedrigsten
Stand, gelegt. Die Verbindung der Geburt mit der Aufer-
stehung Christi, bei dessen Tod am Kreuz sich der Him-
mel verfinstert hatte, vollzog schon der Apostel Paulus in
seiner Predigt in Antiochia; die Weihnachtsfeier wurde
der Osterliturgie nachgebildet. So blühen auch in unse-
rem Bild mitten im Winter als Zeichen eines neuen Wel-
tenfrühlings die Osterglocken, Veilchen, Maiglöcklein
und die übrigen Frühlingsblumen: mit den Tieren feiert
die ganze Natur die Ankunft des Herrn, des neuen Frie-
densfürsten.
Die kosmische Dimension des Ereignisses wird durch
den neuen Stern bezeugt, der die drei weisen Könige nach
Bethlehem zu den Ruinen der Burg Davids leitet und auf
den die lobpreisenden Engel die Hirten hinweisen. Eine
ganz ähnliche Gruppe, ebenfalls mit dem Weihnachtstext
«Gloria in excelsis Deo», erscheint auf dem Auferste-
hungsbild des Peter Rot-Altars, Der hintere Hirte blickt in
der Linie des Eckpfostens zu den Engeln und zum Stern;
der vordere weist auf das andere Beglaubigungszeichen
der Evangelien: «Ihr werdet sehen das Kind in einer Krip-