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Es gehört zum Besonderen dieser Bilderfindung, dass
in ihr etwas Aufschwebendes mitschwingt – fast mehr
alsindieTiefesinddieGruppenindieHöhegestaf-
felt, stärker als die überspielte Erdverwurzelung der
dünnen Stämmchen ist das Aufstreben der ballonar-
tig kugeligen, blühenden Baumkronen, ein Effekt der
Überbetonung der Flächigkeit.
Damit kommen wir zum Ausdruckswert dieser
mit Farben bedeckten Fläche,dennesgeht hier nicht
umeinleeresSpielderFormen,sondernumEmotio-
nen, die aus der Seele des Künstlers aufsteigen und
durch dessen Imagination das Kunstwerk mit ihrem
Gehalt erfüllen. Rein durch die Schönheit der Lin ien
und Farben sollen sich diese «états d’âme» mitteilen.
AndieStelleeinesAbbildsderäusserenWeltoderder
«von einem Temperament gesehenen Natur», wie die
Losung der vorangegangenen Generation lautete, tritt
etwas Imaginäres, das als ein Anderes, Paralleles,
Gleichnishaftes neben die Natur tritt und ihren tie fen
Sinn enthüllt. Die Verbindung der beiden Sphären leis-
ten die «Äquivalenzen» zwischen den Ausdruckswer-
ten der reinen Formen und den Anmutungsqualitäten
der Naturerscheinungen, für die Gauguin den Jünge-
rendieAugengeöffnethatteunddiesieauchbeivan
Gogh und Cézanne fanden. Ausgangspunkt und Basis
dieses künstlerischen Denkens und Vorgehens bil de-
te die symbolistische Dichtung mit ihrer Vorliebe für
kühne Metaphern und synästhetische Entsprechun-
gen, wie sie von Baudelaires «Correspondances» bis
zu Rimbauds «Voyelles» paradigmatisch in Gedichten
zum Ausdruck gebracht wurden. Dasvomjungen Denis
und seinen Mitstreitern so he ftig abgelehnte «Literari-
sche»alsAnekdoteundInhaltkehrtnunalsMethode
des Poetischen zur ück: Die Formen und Farben sollen
nicht nur in ihrem Eigenwert zusammenklingen wie
Musik, das Kunstwerk soll auch wie ein Gedicht «poi-
ein», ein künstlich Gemachtes und Geschaffenes sein,
nicht einfach eine Abbildung. Auch dieses Prinzip wur-
de für die Kunst bis heute grundlegend und eröffnete
ganz neue Vorgehensweisen.
Maurice Denis beabsichtigte mit seiner Kunst frei-
lichnocheinWeiteres.Vonjungaufundzeitlebenswar
erscheint der «Virginal printemps» wie eine farbi ge
Wolke,undkommtmannäher,wirkteralsgerahm-
te Tapete, so dominant ist das Dekorative. Tatsäch-
lich muss man bis zu spätgotischen Tapisserien, den
«Millefleurs»-Teppichen oder der berühmten Serie
der«DamemitdemEinhorn»imMuséedeCluny
zurückgehen, um in der europäischen Kunst ein solch
einheitlich rein farbenes Terrain zu finden, von zuvor-
derstbiszuhinterst,vomunterenbisfastandenobe-
ren Bildrand. Man fühlt sich an persische Miniaturen
erinnert mit ihrer Vorliebe für blühende Bäume, zarte
helle Farben, arabeskenhafte Muster, die hier in den
Schatten, in der Hecke ein völlig flächiges Eigenleben
entwickeln. Vor allem wird wie dort jede Modellierung
sorgfältig vermieden – «l’agaçante manie, incrustée
en nous, de moduler».
Kunstvoll und schlicht ist die Komposition der Far-
ben. Den Hauptklang schlagen das leichte Rosa und
das helle, gelbliche Grün an, eine frühlingshaft heitere
Variante des elementaren Rot-Grün-Komplementär-
kontrastes. Die tieferen Töne bildet das edle Paar von
Blau und Rot, sonor aber gedämpft im Ornamentband
oben einsetzend und in den Stämmchen und Scha t-
tenbisunten wirksam. In subtiler Spannung hebt das
Ora nge der pappelförmig aufflammenden Bäumchen
die oben re chts mehr angedeutete als ausformulierte
Kommunion hervor. Offensichtlich ist nun die Musik,
die mit ihren Harmonien, Melodien, Rhythmen die
seelische Gestimmtheit ganz unmittelbar ausdrückt,
das Vorbild für alle künstlerischen Wirkungsweisen.
Entsprechend kommt auch dem Rhythmus eine zen-
trale Rolle zu, gestaltet in den sich kreuzenden, sich
nirgends verfestigenden Diagonalen der blühenden
Bäumchen und weissen Figuren. Indem Denis vorn
kleinere Gewächse malt, unterläuft er die perspekti-
vische Wirkung, die einer solchen Anordnung inhärent
ist, und lässt ihre die Fläche strukturierende Anmu-
tung voll zur Geltung kommen. Zur Neutralisierung
der nicht unbeträchtlichen Tiefenerstreckung trägt die
ebenfalls aus der Kunst der «Primitiven» des 15. Jahr-
hunderts bekannte, antinaturalistische Verbindung von Aufsicht im Ganzen und Ansicht im Einzelnen bei.