80
CesarePavesehatdasSeheneinmalwiefolgtbeschrie-
ben:«MansiehtnieeinDingzumerstenMal,sondern
immer ein zweites: wenn esin ein anderes übergeht.»1
Dasbedeutetnichtsanderes,alsdassmaneineWirk-
lichkeit, die entweder durch Gewohnheit öde geworden
istoderdiesichdemAugezumerstenMalpräsentiert,
erst schätzen lernt, wenn sie durch eine andere filtriert
wird.Somagesmanchemergehen,dersichzumers-
tenMaleinemWerkvonPeter Wechsler nähert. Man
überblendet das Gesehene, springt von einer Assoziati-
onzuranderen,bissichlangsameineVorstellungher-
anbildetvondem,wassichvorundhinterdeneigenen
Augen ger ade abspielt. Das gilt in besonderem Masse
von den grossformatigen Bleistiftzeichnungen auf far-
big grundiertem Aquarellkarton der Reihe WVZ Nr. 0
bis XXII, dieWechsler 1994 begann und deren vorläufig
letztes Blatt 2008 entstand.2 Anstelle der Titel stehen
in Analogie zu den Opusbezeichnungen der Kompo-
nisten die Werkverzeichnisnummern in römischen
Zahlen. Besonders Kammermusikwerke wurden in
der Wiener Klassik mit solchen originalen Opusnum-
mern veröffentlicht, um sie von Gelegenheitsarbeiten
und Auftragswerken zu unterscheiden. Damit ist Wien
angesprochen mit seinem hochkarätigen musikali-
schen Angebot, das Wechsler, der über jeden seiner
Konzertbesuche differenziert Rechenschaft ablegen
kann, seit vielen Jahren vor Ort verfolgt. Denn Wechs-
ler,derinZürichaufgewachsenund zur Schule gegan-
genist,lebtundarbeitetinWien,woerauchdieKunst-
Akademie besuchte.
Wir haben in diesem ersten kurzen Tour d’Horizon
den Mechanismus des Überblendens und Filtrierens
angesprochen, den unser Inneres aktiviert, sobald es
auf eine ihm unbekannte Wirklichkeit stösst, und wir
kamenüberdieTitelgebungmiteinererstennochsehr
ephemeren, wenn auch zentralen Sch icht von Wechs-
lersSchaffeninBerührung–derAutonomieseinervon
jeder abbildenden oder gar narrativen Absicht freien,
bildkünstlerischen Tätigkeit. Es stellt sich weiter die
Frage, welche Wirkungsabsichten Peter Wechsler mit
diesen Zeichnungen verbindet, welche Mittel er dazu
einsetzt und welche Gedanken ihn antreiben.
«Ich fe rtige Zeichnungen an, keine Objekte.»3
Mit dieser Aussage distanziert sich Wechsler pa rti-
ellvom«Realismus»,wieervonRobertRymanver-
tre ten wird .4 Zwar legt auch Wechsler Wert darauf,
dass man weiss, wie eine Zeichnung beginnt, welche
Bleistifte und Aquarellfarben der Zeichner benutzt,
welches Format er wählt und welches Fabrikat der
Zeichenkartons er bevorzugt.5 Die verwendeten Mate-
rialien, etwa die unterschiedlichen Härtegrade der
verwendeten Fallminen, sind für das Verständnis von
Wechslers Arbeiten von Bedeutung. Auch wie die Wer-
ke präsentiert werden sollen, ist dem Wiener Künstler
ein grundsätzliches Anliegen. Licht und Umgebung
müssen so beschaffen sein, dass die Ästhetik klar zum
Ausdruck kommt. Doch im Unterschied zu Ryman
entfalten Wechslers Arbeiten ihre Bildwirkung erst
dann optimal, wenn sieineinen Rahmen «hinter Glas
gesperrt sind».6 Vergleichbar dem Firnis eines Ölbilds
hat das entspiegelte Glas für Wechsler weder etwas
Trennendes noch Störendes, sondern vereinheitlicht
die Gesamtwirkung: es harmonisiert.
Was bezweckt Wechsler mit der Rahmung, was
bedeutet das Hinter-Glas-Sperren seiner Zeichnun-
gen? Vergegenwärtigt man sich den mehrere Monate
PETER WECHSLER,
DIE HAND ZEICHNET, DAS AUGE BEOBA CHTET WVZNR.XVIII