Volltext: Jahresbericht 2008 (2008)

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Der vibrierende schwarze Kohle- und Bleistiftstrich ist 
ein Markenzeichen von Marc Bauer. Ausgehend von 
Archivbildern oder Fotos aus Familienalben schafft der 
1975 in Genf geborene Künstler Zeichnungen, in denen 
er Bilder aus dem kollektiven Gedächtnis mit persön- 
lichen Erinnerungen vermischt. Auf diese Weise ent- 
steht eine Narration, die keinem linearen Muster folgt, 
ganz bewusst aber unsere Wahrnehmung von Reali- 
tät hin te rfragt und einen neuen Blick auf historische 
Fakteneröffnet–soauchinderArbeit«Nimbusder 
Verfehlung» (2008). Diese Serie ist eine Zusammen- 
arbeit mit der Philosophin Christine Abbt (*1974) und 
entstand speziell für die Ausstellung «Shifting Ide nti- 
ties – (Schweizer) Kunst heute» (vgl. oben S. 17f). 
Christine Abbt und Marc Bauer lernten sich wäh- 
rend eines Aufenthaltes am Istituto Svizzero in Rom 
(2005/06) kennen und haben seither schon einige Male 
zusammengearbeitet. Die zwei verbindet ein gemein- 
sames Interesse an bestimmten politisch-philosophi- 
schen Fragestellungen, mit denen sie sich auf zwar 
unterschiedliche, aber ergänzende Weise beschäftigen. 
InderArbeit«Nimbusder Verfehlung»geht esumvier 
berühmte deutsche Denker, die Anfang der dreissiger 
Jahre ähnliche Wege gegangen sind: Ernst Jünger, 
Martin Heidegger, Carl Schmitt und Gottfried Benn. Als 
Kritiker des Parlamentarismus der Weimarer Repub- 
lik begrüssten sie alle eine politische Neuordnung und 
sympathisierten mit antisemitischem und/oder natio- 
nalsozialistischem Gedankengut. Während Benn und 
Jünger einen Parteibeitritt ablehnten, schlossen sich 
Heidegger und Schm itt nach der Machtübernahme Hit- 
lers 1933 derNSDAPan.«Wergrossdenkt,irrtgross», 
lautet ein bekannt gewordener Ausspruch Heideggers. 
MARC BAUER 
NIMBUS DER VERFEHLUNG 
Den grossen I rrtum zu erklären, die menschliche und 
intellektuelle Verfehlung zu rechtfertigen oder zu ent- 
schuldigen, dazu waren die grossen Denker allerdings 
kaum bereit oder fä hig. Schwiegen sie aus eigenwilli- 
gem Tro tz? Oder schwiegen sie,weildieSpracheder 
Schu ld nicht angemessen ist? Diesen Fragen gehen 
Bauer/AbbtinderArbeitnach.VonMarcBauer stam- 
men die insgesamt 24 Zeichnungen und von Christine 
Abbtdie26Zitate,diesieausTextendervierDenker 
zusammengestellt hat. 
Die Idee des Ungesagten spielt in der Arbeit eine 
zentrale Rolle und widerspiegelt sich auf zeichne- 
rischer Ebene in dem Element der Unschärfe. Das 
Verschwommene, Verwischte entsteht durch einen 
scheinbar ruhelosen, vibrierenden Zeichenstift – ein 
bisschen wie ein Seismograph, der aufgrund der 
furcht bar en Ereignisse nervös ausschlägt. Dieser vib- 
rierende S trich lädt das Ganze mit einer beunruhigen- 
den Atmosphäre auf; verstärkt wird das ung ute Ge fühl 
durch präzise eingesetzte Farben wie z.B. beim Blatt 
mitder Aufschrift «Nurenberg1934»,dasineingefähr- 
lichesBlutrotgetauchtist.EsistdasersteMal,dass 
Marc Bauer Farbstift verwendet. Bisher hat er immer 
nur in Schwarz-Weiss gezeichnet. Doch wie gekonnt er 
mit den Farben umzugehen versteht, zeigt dasin der 
Serie zentral gesetzte Blatt «Der Sumpf 1933» . 
Die Verwendung von Farbe ist nicht das einzige 
Experiment, das Marc Bauer für «Nimbus der Verfeh- 
lung»gewagthat:auchseinerstesBildinÖlaufLein- 
wand haterdafür gemalt. Es zeigt ein Schwarzwald- 
hausinder Natur, es könnte gut Heideggers «Hütte» 
in Todtnauberg sein. Im Unterschied zu den Zeichnun- gen ist die Malerei in Grau-Schwarz-Tönen gehalten,
	        
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