JOHANN WILHELM VON TSCHARNER
STILLLEBEN MIT HERBSTBLATT, 1928
Das halb abstrakte, halb naturalistisch-gegenständliche
Stillleben spielt mit den Paradigmen der eminent wichtigen
Kunstrichtung des Kubismus, gleichsam «post festum», als sich
der moderate Modernist Johann Wilhelm von Tscharner (1886–
1946) bereits wieder der Gegenständlichkeit zugewendet hatte.
Nach Studien der Philosophie widmete er sich in Krakau und Mün-
chen der Malerei und stand zeitlebens mit vi elen Künstlern und
Dichtern in Verbindung.
Als Spross einer ursprünglich bündnerischen, nach Russ-
land emigr ier ten Familie weist von T scharners Biografie interes-
sante europäische Verflechtungen auf, mit Stationen in Ungarn,
Polen, Paris, München, der Ostschweiz und Zürich, wo er im di-
rekten Kontakt mit den Dadaisten um 1920 eine wesentliche Prä-
gung erfuhr und mit Hans Arp, Ernst Morgenthaler, Herm ann Hal-
ler und Karl Geiser befreundet war. Er umkreiste alle Stile und
Tendenzen der Klassischen Moderne zwischen 1910 und 1940,
stets souverän im Umgang mit seinen au sgeprägten formalen und
handwerklichen Fäh igkeit en in einer kultivierten Ma lerei und in
z unehmend gedämpfter T onalität. Seine sti listi sche Entwicklung
blieb fast durchwegs auf der künstlerischen Höhe seiner Zeit: Zu
B eginn kubistisch, dann gegenständlich, mit Stillleben und Land-
schaften, die auch seine zahlreichen Reisen dokumentieren. Mit
seinen Porträts entstand ein eigenwillig schönes Spätwerk, in
dem die Figuren in gedämpften Farben wie verschleiert wirken.
Johann von Tscharners Kunst, die charakteristisch ist für die
Wechselbeziehung der Moderne mit der sogena nnten Schweizer
Kunst, relativiert den gängigen Begriff eines womöglich typisch
nationalen Kunstsc haffens zugunsten vielfältiger kultureller und
intellektueller Verflechtungen im Europa des frühen 20. Jahr- hunderts.