Marcel Janco, Plakat zur Soirée Tristan Tzara im Zunfthaus zur Meisen, 1918

Die miteinander befreundeten Studenten Marcel Janco und Tristan Tzara strandeten auf ihrem Weg von Bukarest nach Paris wegen der Kriegswirren in Zürich. Hier fanden sie zu einer bis in den Herbst 1919 dauernden engen und produktiven künstlerischen Zusammenarbeit, so in der Zeitschrift Dada, der Edition Collection Dada und für ihre Vorträge über moderne, abstrakte Kunst. Als Porträtist der Dadaisten, wie auch Hans Richter einer war, zeichnete Janco seinen Compagnon mehrmals. Der kolorierte Holzschnitt zur Veranstaltung im Zunfthaus zur Meisen zeigt Janco als virtuosen Könner und markiert einen Höhepunkt in seinem grafischen Schaffen.

Ab dem Sommer 1916 bis zum Herbst 1919 führten die Dadaisten acht Soirées durch. Vier davon in der Galerie Dada, die weiteren in den Zunfthäusern zur Waag und zur Meisen sowie im Kaufleuten. Diese Lokalitäten gehörten zu den wenigen in Zürich, die für autonome öffentliche, kulturelle Veranstaltungen genutzt werden konnten. Die Organisation der dadaistischen Veranstaltungen verlief in geordneten Bahnen, dazu gehörten auch der Eintrittskartenvorverkauf bei den offiziellen Stellen Kuoni oder Hug und die Ausleihe von Flügel oder Harmonium bei renommierten Musikhäusern.

An einem Dienstagabend im Hochsommer 1918 organisierte Tristan Tzara eine Soirée, bei der nur er auf der Bühne stand. Immer besser verstand er es, sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen. «La réclame et les affaires sont aussi des éléments poétiques.» Im Saal zur Meisen las er Gedichte, deren «fragmentarisch aneinander gereihten Bilder und Laute aus weit dislozierten Gedankengängen» laut Züricher Post so tönten:

«Sagt: Mein Kopf ist leer wie ein Bordellschrank (was man ihm glaubt)
Sagt: Mein Herz ist in eine Zeitung versenkt (was man nicht merkt)
stöhnt: Die Herzen und die Augen rollen in meinen Mund (wie unappetitlich!)»

Diese literarischen Brosamen führten im 40-köpfigen Publikum ebenso wenig zu Unruhe oder Protest wie die spitzen Dada-Pfeile im vorgetragenen Manifest (Manifeste Dada 1918), notabene einer dadaistischen literarischen Gattung par excellence:

«Tout produit du dégoût susceptible de devenir une négation de la famille, est dada; proteste aux poings de tout son être en action destructive: dada; connaissance de tous les moyens rejetés jusqu'à présent par le sexe pudique du compromis commode et de la politesse: dada [...] abolition de la mémoire: DADA; abolition de l'archéologie: DADA; abolition des prophètes: DADA ; abolition du futur: DADA; croyance absolue indiscutable dans chaque dieu produit immédiat de la spontanéité: DADA […].»

Der Vortrag in französischer Sprache – wie so oft bei Dada Zürich – mag den Dada-Geist mit einem Nebel der Unverständlichkeit wattiert haben; den ruhigen Verlauf verdankte die Soirée aber vor allem einem kulturinteressierten, befreundeten Publikum. Tzara, der in seiner Chronique zurichoise von Gegenständen berichtete, die auf die Bühne geworfen wurden, musste für die von ihm anvisierte internationale Lancierung des Mouvement Dada nach- und den Radau hinzudichten.

Auflage: unter 50 Exemplare. Druck auf dünnem Papier. Im Stock unten rechts signiert «M. Ianco». Vom Künstler mit Schablonen koloriert. Jedes Exemplar ist anders koloriert. Provenienz: Das Plakat wurde 1968 in der Auktion «Teile der Bibliothek und Sammlung Tristan Tzara (Kornfeld und Klipstein, Dokumentations-Bibliothek III, Bern)» vom Kunsthaus Zürich erworben.


Dada 3, DADA III:33:3
→ Marcel Janco, Plakatentwurf zu Chant nègre, Z.Inv. 1980/42