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Geltung keineswegs bedurft hat, in den Strudel dieses
Debacles hineingezogen. Denn schon machen sich
heute neue Schlagworte breit, tauchen neue Begriffe
auf, von feinnervigen Kunsthorchem, die soeben dem
Expressionismus den Dolchstoß von rückwärts ver-
setzt haben, mit Talent erwittert und breitgetreten.
Die Zahl der »Klassizisten« und der »wie Ingres«
Malenden mehrt sich zusehends, man wird sehen,
was sich aus dieser immer mehr ins Literarische glei
tenden Bewegung alles machen läßt!
Über dem Niveau zeitlicher Berühmtheiten und
literarischer Schlagworte stehen die Blätter dieser
Mappe. Außerordentlich glücklich ist die Vereinigung
originaler Graphik und vorzüglicher Faksimilerepro
duktionen, die den Kreis des genußfähigen Publikums
erweitert, das Bild mannigfacher und belebter er
scheinen läßt. Wir finden Originalgraphiken von
Lehmbruck, Meidner, Heckei, Feininger und Marc,
Reproduktionen in Originalgröße von Kokoschka,
Macke, Kirchner, Heckei und Nolde. Unter den
Holzschnitten ist besonders ein koloriertes Blatt aus
dem Nachlasse Marcs hervorzuheben, aus jener Pe
riode stammend, die durch den Übergang von körper
licher Darstellung zur absoluten Malerei charakreri-
siert wird. Von Frankreich und Rußland gleicherweise
angezogen, den Einflüssen einer ganz auf Gesetz und
Logik aufgebauten Malerei und einer rein gefühls
mäßigen, über die Ränder einer vom Verstände dik
tierten Gesetzmäßigkeit oft weit hinausschlagenden
Ausdruckskunst gleichzeitig ausgesetzt, gehört Marc
zu jener Gruppe deutscher Maler, die die Tragik ihrer
inneren Zwiespältigkeit nicht zu überwinden ver
mochten. Der dem Deutschen eingeborene immer
wieder von neuem und in neuer Form sich offen
barende Hang zur Mystik kompliziert die Situation,
die im Grunde genommen auch heute noch an das
Schwanken der alten langobardischen Künstler
zwischen der Gesetzmäßigkeit Roms und der ab
strakten Gefühlskunst des Orients erinnert. Das
vorliegende Blatt zeigt den weitaus überwiegenden
Einfluß des Russischen, der vornehmlich auf die Ein
wirkung Kandinskys zurückzuführen ist. Entmate-
rialisierte Tierkörper, deren Linien sich zu einer gra
phischen Melodie von bestrickendstem Wohlklang
verbinden, bewegen sich in einer Landschaft, die
ebenso harmonisch aus Ton und Farbwerten kom
poniert, die Melodien in bestimmter Bindung zu
sammenhält und begleitet.
Frei von Tragik und Zerrissenheit, eher an die
alten deutschen Meister gemahnend, deren Technik
hier wieder auflebt, zeigt den Künstler der schöne
Holzschnitt von Heckei. Hier ist alles Weiterleitung,
natürliche und geradlinige Entwicklung aus dem Na
turalismus des vergangenen Jahrhunderts. Nirgends
ist die Ebene der natürlichen Vision verlassen, nir
gends die seit der Renaissance festgelegte Darstellung
eines subjektiven Raumbegriffes durchbrochen. Inner
halb der Möglichkeiten des Holzschnittes sind hier
die stärksten plastischen und räumlichen Wirkungen
erreicht, es fehlt das Zerrissene, maßlos Spitze mancher
Heckeischer Schnitte ganz. Die geweihte Stille einer
abendlichen Lesestunde liegt über das Bild gebreitet,
das auch technisch von vollendeter Meisterschaft ist.
Weniger befriedigend wirken ein Holzschnitt von
Feininger und eine Radierung von Meidner. Die
Ziele Feiningers, die vor allem in einer eindringlichen
Darstellung der Sinnlichkeit des Raumes und der
diesen erfüllenden Körper gelegen ist, können im
manuellen Holzschnitt mit dessen verhältnismäßig
geringen Nüanzierungsmöglidikeiten nicht zum Aus
druck gebracht werden. Die Darstellung wirkt zer
rissen und das Durcheinander der geometrisch ange
ordneten Linien gleicht einem Irrgarten, einem zer
fetzten Ornament, aus dem der Betrachter räumliche
Vorstellungen nicht herauszuholen vermag.
Die Radierung Meidners zeigt die allgemeinen
Schwächen der Kunst dieses reinen Ekstatikers, der
dem übersteigerten Ausdruck aus der Tiefe seines
stark dem Eklektizismus preisgegebenen Wesens
nicht die notwendige Überzeugungskraft zu geben
vermag. Der Manierismus liegt oft nahe, er ist viel
leicht nur durch strengste Selbstzucht zu überwinden,
die alle Überwucherungen entsagungsvoll unter
drückt.
Unter den Reproduktionen, die technisch kaum zu
überbietende Meisterwerke darstellen, fesseln vor
allem die Aquarelle Noldes: ein asiatischer Hafen
und eine Figurengruppe, die sich durch eine besonders
köstliche Farbengebung auszeichnet. Die Weiter
entwicklung aus dem Impressionismus, die das formal
Bestimmende Noldescher Kunst ausmacht, tritt an
der Hafenskizze besonders klar zutage. Ein auf das
Wesentliche der Erscheinung von Licht und Bewe
gung zielender Abstraktionswille lenkt den unheimlich
sicheren und raschen Strich des Künstlers. In anderer
Richtung bewegt sich die Abstraktion einer herrlich
reproduzierten Tuschskizze von Kokoschka, die das
seelisch Wesenhafte des Kontaktes zweier Menschen
auf ihre konstituierenden Züge mit unerhörter Sicher
heit und Ökonomie des Ausdrucks beschränkt.
Die Ausstattung der Mappe ist in jeder Hinsicht
mustergültig.