ANDRE THOMKINS, DER «GESETZESTRICKER»)
Andre Thomkins gehört heute zu den bedeutenden
Schweizer Graphikern. Sein beachtliches graphi-
sches (Euvre beginnt 1953 mit einer Reihe klein-
formatiger Lithographien, die in wenigen Exempla-
ren im Eigendruck herauskamen. In der Frühzeit ex-
perimentierte er mit verschiedenen unkonventionel-
len Drucktechniken wie Gummi- und Plastilinstem-
peldrucken, Knülldrucken, Clich&drucken und Ma-
terialdrucken. Erst seit 1970 wendete er sich inten-
siver der traditionellen Druckgraphik zu, wobei ins
Auge fällt, dass er die graphischen Techniken
bevorzugt, die er als Zeichner angehen kann: Litho-
graphie und Vernis mou. Bei der Lithographie lässt
sich mit Kreide direkt auf dem Lithostein ähnlich
wie auf einem Blatt Papier zeichnen. Bei der Vernis-
mMmou-Technik legt man über die speziell vorbereitete
Kupferplatte ein Papier, auf dem mit dem
gewöhnlichen Bleistift gezeichnet wird. Die Drucke
bewahren in beiden Techniken etwas vom Charak-
ter einer Kreide- oder Bleistiftzeichnung. Thomkins
selbst bekennt dazu: «Die Technik des Vernis mou
benutze ich seither am liebsten. Der Bleistiftstrich
wird in der Umsetzung durch den Kupferdruck zwar
etwas härter, behält aber einen ganz eigenen Cha-
rakter im Unterschied zu allen sonstigen Linien und
Tönen auf Drucken von Kupferplatten anderer Tech-
niken des Ätzens, Stechens oder Kratzens 1
Es ist uns im vergangenen Jahr gelungen, das ge-
samte druckgraphische Werk von Andre Thomkins
für die Graphische Sammlung zu erwerben. Über-
Dlickt man die rund 160 Blätter, so wirkt vieles zu-
nächst verwirrend und schwer fassbar. Ein grosser
Teil der Kompositionen ist von einem regelmässigen
Muster geprägt, aus dem sich einzelne Figuren und
Figurengruppen herauslösen, ohne jedoch eine zu-
Sammenhängende Szene zu bilden. Der Betrachter
fühlt sich zuweilen in einem Irrgarten, in dem er
sich vergeblich zurechtzufinden sucht. Der Nach-
vollzug des Entstehungsprozesses kann den Zugang
zu solchen Blättern erleichtern. Da es unmöglich ist,
in diesem Rahmen auf die gesamte Graphik mit
hrer Vielfalt an Themen und Techniken einzugehen,
soll stellvertretend ein charakteristisches Beispiel,
die Lithographie <«gesetzestricker» von 1971,
herausgegriffen werden (Abbildung Nr. 24)
Bei der Lithographie fällt als erstes das ihr zugrunde
legende Muster auf, das Koepplin «Rapportmuster)
nennt. Die Ausgangssituation für die Entstehung
des Blattes bildet ein noch deutlich sichtbarer kon-
struktiver Raster, ein Quadratnetz, das aus vier Fel-
dern in der Höhe und fünf Feldern in der Breite be-
steht. In diese Felder beginnt Thomkins nachein-
ander ein Muster aus Kurven und geraden Linien
ainzuzeichnen, das in jedem Feld in gleicher Weise
wiederkehrt. Die Wiederholung des gleichen Motivs
ın allen Feldern löst durch ihre Monotonie beim
Künstler den Reiz aus, an irgendeiner Stelle eine
Veränderung zu erzeugen, daraus auszubrechen. Er
vergleicht dies mit der Erfahrung der penetranten
Monotonie eines Tapetenmusters, bei dem man
sich wie eingesperrt vorkommt. Nach und nach öff-
1en sich für Ihn die Formen für Gegenstände, an die
ar sich erinnert. Er projiziert plötzlich etwas Figürli-
2hes in eine Linie des repetierten Motivs hinein: in
3ainem Bogen erscheint zum Beispiel ein Arm, in
3iner Rundform ein Kopf. Eine solche Figur wird
vom Künstler sofort durch verdeutlichende Schraf-
fierung fixiert. Die ersten Interpretationen verlocken
hn sehr schnell zu Variationen, nämlich zu einer an-
deren Kopf- oder Armhaltung im nächsten Feld,
ader statt eines Arms entsteht dort aus dem Bogen
3ain Bein. Gleichzeitig sucht der Künstler anhand der
bereits vorhandenen Elemente nach einer Fortset-
zung der Figur in Nachbarfelder hinein. Durch das
Verweben und Vernetzen bereits im Grundmotiv
entsteht allmählich Räumlichkeit und entwickeln
sich darin Figurengruppen, die am Schluss eine Art
Szene bilden. Solche Szenen sind nicht «geplant,
sie sind auch keine Illustrationen, keine historischen
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