Volltext: Jahresbericht 1987 (1987)

ZWEI BILDER VON OSKAR KOKOSCHKA 
Mit Macht - dies sowohl in qualitativer wie quantitativer 
Hinsicht —- setzt Kokoschkas malerisches Werk im Jahre 
1909 ein. Dieses Jahr, das beinahe ausschliesslich dem 
Portrait gilt, dürfte im langen Malerleben Kokoschkas eines 
der fruchtbarsten überhaupt sein. 
Die intensive Auseinandersetzung mit dem Bildnis wird 
um 1910-1911 unterbrochen durch eine Serie von Figuren- 
kompositionen, die religiöse Szenen in überaus freier Inter- 
pretation wiedergeben. Wie wenig sich Kokoschka um 
überlieferte ikonographische Traditionen kümmerte, 
zeigen die beiden wohl bedeutendsten Bilder dieser Serie: 
«Verkündigung» und «Heimsuchung».! Der freie Umgang 
mit religiösen Sujets mag andeuten, dass es Kokoschka in 
dieser Bilderserie wohl weniger um inhaltliche Problemstel- 
lungen gegangen ist: vielmehr scheinen formale Fragenstel- 
lungen den Künstler beschäftigt zu haben und in dieser 
Hinsicht insbesondere die Frage nach dem Verhältnis von 
Figur zu umgebendem Raum. Während die Portraits des 
vorangegangenen Jahres die menschliche Figur weitgehend 
vom umgebenden, meist dunkeltonigen, nicht weiter iden- 
tifizierbaren Hintergrund abheben, erprobt der Künstler in 
den wenigen religiösen Bildern das Gegenteil, d.h. eine 
möglichst intensive Verschmelzung von Figur und umge- 
bendem Bildraum. Als Auftakt zur genannten Werkreihe 
gilt das Geschenk von Hans C. Bechtler «Ritter, Tod und 
Engel». Während dieses Bild in der älteren Literatur als 
zweite Fassung eines früheren Werkes galt, so ist die neuere 
Forschung der Ansicht, dass es sich hier um die erste 
Fassung handelt.? Allerdings sind in dieser Beziehung nicht 
alle Fragen geklärt, wie auch der Bildinhalt zu noch unge- 
lösten Problemen Anlass gibt. Es wird vermutet, dass 
Dürers Kupferstich von 1513 «Ritter, Tod und Teufel» als 
Anregung gedient hat.? Für diese Annahme spricht die 
Tatsache, dass die Figuren —- was in der abendländischen 
Kunst eher selten ist — sich von rechts nach links bewegen. 
Die Unterschiede in formaler Hinsicht sind allerdings 
ebenso manifest wie die Tatsache, dass Dürers Teufel bei 
Kokoschka einem Engel gewichen ist. Fraglich ist auch die 
Annahme, ob in Anbetracht der «steifen und beinahe stili- 
sierten Gebärden-Sprache»* Kokoschka als Vorlage Krip- 
penfiguren benutzt hat. 
Zu Recht hingegen gilt «Ritter, Tod und Engel» als 
frühestes Werk der religiösen Werkreihe von 1910/11, die 
sich durch zunehmend hellere, irisierende Farbigkeit 
auszeichnet. Wiederholt ist der perlmutterfarbene Glanz 
dieser Bilder beschrieben worden und häufig erwähnt wird 
auch die «Vergitterung des Bildraums», die vor der Figuren- 
darstellung nicht halt macht, sondern im Gegenteil diese 
bewusst einbindet.” Diese beiden Elemente sind in «Ritter, 
Tod und Engel» erst in Ansätzen bemerkbar; ebenso 
erkennbar ist allerdings auch die spätere Hinwendung zu 
einem im Vergleich zur Frühzeit differenzierteren Kolo- 
rNsmus. 
Die Stellung des Bildes innerhalb des gesamten Werkes 
von Kokoschka kommt somit einer Inkunabel gleich, 
deren Bedeutung nur ermessen werden kann, wenn man 
auch Kokoschkas allerletzte Schaffensphase in Betracht 
zieht, in der ganz eindeutig die Figuren-Komposition 
dominiert. Ist es nicht merkwürdig, dass das früheste Figu- 
renbild des Künstlers eine Todesallegorie ist, dass eines der 
allerspätesten Bilder wiederum vom Tod handelt? 1971 
malt der nunmehr 85jährige Künstler als eines der letzten 
Hauptwerke das Bild «Time, Gentlemen, please»®, ein uner- 
hört direktes und auch brutales Bild: die Auflehnung des 
alten Mannes gegenüber dem nahenden Tod. 
Es ist als Glücksfall zu bewerten, dass «Ritter, Tod und 
Engel» in eine Sammlung kommt, in der Oskar Kokoschka 
mit einer ausgezeichneten Reihe von Werken vertreten ist, 
die die besondere Stellung des Bildes zu erkennen erst 
ermöglicht. 
Dasselbe gilt auch für das Werk, das die Vereinigung 
Zürcher Kunstfreunde erworben hat «Stilleben mit Putto 
und Kaninchen». Ein irritierendes Bild, das Ende 1913 
begonnen und im Frühjahr 1914 vollendet wurde. Der 
Gesamteindruck lässt sich umschreiben mit den Worten 
bedrohlich, düster, wild, flackernd, unruhig, aber auch 
hermetisch. Der Bildinhalt lässt sich prima vista kaum 
entschlüsseln.
	        
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