ZWEI BILDER VON OSKAR KOKOSCHKA
Mit Macht - dies sowohl in qualitativer wie quantitativer
Hinsicht —- setzt Kokoschkas malerisches Werk im Jahre
1909 ein. Dieses Jahr, das beinahe ausschliesslich dem
Portrait gilt, dürfte im langen Malerleben Kokoschkas eines
der fruchtbarsten überhaupt sein.
Die intensive Auseinandersetzung mit dem Bildnis wird
um 1910-1911 unterbrochen durch eine Serie von Figuren-
kompositionen, die religiöse Szenen in überaus freier Inter-
pretation wiedergeben. Wie wenig sich Kokoschka um
überlieferte ikonographische Traditionen kümmerte,
zeigen die beiden wohl bedeutendsten Bilder dieser Serie:
«Verkündigung» und «Heimsuchung».! Der freie Umgang
mit religiösen Sujets mag andeuten, dass es Kokoschka in
dieser Bilderserie wohl weniger um inhaltliche Problemstel-
lungen gegangen ist: vielmehr scheinen formale Fragenstel-
lungen den Künstler beschäftigt zu haben und in dieser
Hinsicht insbesondere die Frage nach dem Verhältnis von
Figur zu umgebendem Raum. Während die Portraits des
vorangegangenen Jahres die menschliche Figur weitgehend
vom umgebenden, meist dunkeltonigen, nicht weiter iden-
tifizierbaren Hintergrund abheben, erprobt der Künstler in
den wenigen religiösen Bildern das Gegenteil, d.h. eine
möglichst intensive Verschmelzung von Figur und umge-
bendem Bildraum. Als Auftakt zur genannten Werkreihe
gilt das Geschenk von Hans C. Bechtler «Ritter, Tod und
Engel». Während dieses Bild in der älteren Literatur als
zweite Fassung eines früheren Werkes galt, so ist die neuere
Forschung der Ansicht, dass es sich hier um die erste
Fassung handelt.? Allerdings sind in dieser Beziehung nicht
alle Fragen geklärt, wie auch der Bildinhalt zu noch unge-
lösten Problemen Anlass gibt. Es wird vermutet, dass
Dürers Kupferstich von 1513 «Ritter, Tod und Teufel» als
Anregung gedient hat.? Für diese Annahme spricht die
Tatsache, dass die Figuren —- was in der abendländischen
Kunst eher selten ist — sich von rechts nach links bewegen.
Die Unterschiede in formaler Hinsicht sind allerdings
ebenso manifest wie die Tatsache, dass Dürers Teufel bei
Kokoschka einem Engel gewichen ist. Fraglich ist auch die
Annahme, ob in Anbetracht der «steifen und beinahe stili-
sierten Gebärden-Sprache»* Kokoschka als Vorlage Krip-
penfiguren benutzt hat.
Zu Recht hingegen gilt «Ritter, Tod und Engel» als
frühestes Werk der religiösen Werkreihe von 1910/11, die
sich durch zunehmend hellere, irisierende Farbigkeit
auszeichnet. Wiederholt ist der perlmutterfarbene Glanz
dieser Bilder beschrieben worden und häufig erwähnt wird
auch die «Vergitterung des Bildraums», die vor der Figuren-
darstellung nicht halt macht, sondern im Gegenteil diese
bewusst einbindet.” Diese beiden Elemente sind in «Ritter,
Tod und Engel» erst in Ansätzen bemerkbar; ebenso
erkennbar ist allerdings auch die spätere Hinwendung zu
einem im Vergleich zur Frühzeit differenzierteren Kolo-
rNsmus.
Die Stellung des Bildes innerhalb des gesamten Werkes
von Kokoschka kommt somit einer Inkunabel gleich,
deren Bedeutung nur ermessen werden kann, wenn man
auch Kokoschkas allerletzte Schaffensphase in Betracht
zieht, in der ganz eindeutig die Figuren-Komposition
dominiert. Ist es nicht merkwürdig, dass das früheste Figu-
renbild des Künstlers eine Todesallegorie ist, dass eines der
allerspätesten Bilder wiederum vom Tod handelt? 1971
malt der nunmehr 85jährige Künstler als eines der letzten
Hauptwerke das Bild «Time, Gentlemen, please»®, ein uner-
hört direktes und auch brutales Bild: die Auflehnung des
alten Mannes gegenüber dem nahenden Tod.
Es ist als Glücksfall zu bewerten, dass «Ritter, Tod und
Engel» in eine Sammlung kommt, in der Oskar Kokoschka
mit einer ausgezeichneten Reihe von Werken vertreten ist,
die die besondere Stellung des Bildes zu erkennen erst
ermöglicht.
Dasselbe gilt auch für das Werk, das die Vereinigung
Zürcher Kunstfreunde erworben hat «Stilleben mit Putto
und Kaninchen». Ein irritierendes Bild, das Ende 1913
begonnen und im Frühjahr 1914 vollendet wurde. Der
Gesamteindruck lässt sich umschreiben mit den Worten
bedrohlich, düster, wild, flackernd, unruhig, aber auch
hermetisch. Der Bildinhalt lässt sich prima vista kaum
entschlüsseln.