tier gewordene Katze trägt Alma Mahlers Gesichtszüge.
Sie hat den Kopf zum toten Kind oder zum Hasen zurück-
gewendet, der unmittelbar über ihrem Gesäss plaziert ist;
zum Hasen, der ein altes Fruchtbarkeits-Symbol ist und der
von Kokoschka bewusst als Paraphrase des berühmten
Aquarells Dürers, das in der Wiener Albertina aufbewahrt
wird, gestaltet worden ist.!* Auch die Motive des Hinter-
grundes fügen sich aus dem autobiographischen Element
zusammen. In der zweiten Hälfte des Jahres 1913 hat das
Liebespaar eine Reise nach Neapel unternommen, wo es in
einem roten Haus wohnte. Ist es vermessen, beim einzigen
Stern des nachtschwarzen Himmels an den Stern von Beth-
lehem zu denken? Auffällig am rechten Bildrand ein
stehender Mann in einem Boot, Charon? Kokoschka
selbst, der sich abwendet? Auch wenn sich der zunächst
enigmatische Inhalt, in Kenntnis des biographischen
Hintergrundes, präzise entschlüsseln lässt, eignet ihm zwei-
fellos, wie den vorangegangenen Stilleben, eine über das
Persönliche hinausgehende Aussage an, indem sich die
Dramatik des unmittelbaren Geschehens auf die expressive
Pinselschrift und die beinahe haluzinatorische, flackernde
Lichtführung überträgt. Das Bild wird so zur Parabel
drohenden Unheils und verkörpert wie kaum ein Werk in
dieser Zeit die von Untergangsvisionen geschüttelte Zeit
der letzten Monate vor Ausbruch des ersten Weltkrieges.
Die visionäre Kraft des Künstlers, insbesondere sein Senso-
num gegenüber drohendem Unheil, verbindet dieses Werk
mit dem wenig später entstandenen Bild «Der irrende
Reiter», das neben seiner Dimension als vorweggenom-
menes Kriegsbild auch die abschliessende bildnerische
Auseinandersetzung um Alma Mahler beinhaltet, sodass
von einem, zwar nicht in formalem Sinne jedoch inhaltlich
bestimmten Triptychon «Windsbraut», «Stilleben mit
Putto und Kaninchen» und «Der irrende Reiter»
gesprochen werden kann.
Wiederholt ist von der unruhigen Lichtführung gespro-
chen worden. Wie Blitzlichter leuchten grelle Partien aus
dem dunklen Hintergrund auf, die einzelnen Figuren oft
beinahe auflösend. Nachweislich hat der Künstler diese
dynamisierte Lichtführung von Tizian übernommen.
Auch diesbezüglich geben Kokoschkas Lebenserinne-
rungen wertvollen Aufschluss. Wenn Kokoschka darin
seine Empfindungen angesichts von Tizians Bild «Venus
mit dem Orgelspieler» beschreibt, das durch Zufall für
kurze Zeit in seinem Atelier versteckt gehalten wurde, dann
ist man versucht, aus dieser Beschreibung genau das heraus-
zuspüren, was den heutigen Betrachter auch angesichts des
«Stillebens mit Putto und Kaninchen» fesselt. Er selbst
schreibtl6:
«Ein Erlebnis ganz anderer Natur war es, als eines Tages Carl
Moll, einige Monate vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges, aus
Italien ein Tizian-Gemälde brachte und es bei mir im Atelier
abstellte. Das Bild musste vor der Öffentlichkeit geheimgehalten
werden. Es hatte einem Prinzen von Orleans der italienischen
Linte gehört und war heimlich über die Grenze gebracht worden.
Es stellt die Venus mit dem Orgelspieler dar und ist nach dem
Kriege vom Katser-Friedrich-Museum in Berlin erworben
worden, wo es noch heute ein Prunkstück der Sammlung ist. Das
Bild stammt aus der mittleren Schaffensperiode Tizians, als er
begonnen hatte, an Stelle der klassischen Zeichnung und des kräf-
tigen Kolorits der Renaissance neue Mittel zu suchen, um die
Luminosität des Raums zu gestalten — eine Anstrengung, welche
in der Pieta der Accademia in Venedig, vielleicht seinem letzten
Werk, kulmintert, wo das Licht den Raum aus der bisher statisch,
perspektivisch gesehenen Auffassung des Raumes der Renais-
sance dynamisch um- und neu formt, so dass die Figuren selbst
sıch zu bewegen scheinen.
Das umberschweifende Auge des Betrachters wird nicht wie
bisher von dem Ablesen eines Konturs und einer Lokalfarbe,
sondern von der Leuchtkraft im Bilde geleitet. Es ist dies eine
Schöpfung, die in der Malerei zum erstenmal das gleiche Wunder
wie einst die archaisch-ionische Skulptur bewirkt hat. Dort wird
der Raum in kleinste Facetten aufgelöst. Das Licht berührt nicht
nur die Oberfläche, sondern bewegt sie. Damit war ein für alle-
mal der ägyptische Bann überwunden. Licht, und nicht allein die
kubische Masse, das Volumen, bedingte die räumliche Kompo-
$ILO0N.
Tizian war nach seinem Tode lange vergessen worden, und erst
Poussin, der immerhin Augen halte, zu sehen, lernte von Tizian,
den er intensiv studiert hatte, dass, anders als in der Zeichnung
und im Lokalkolorit der Renaissance, in dessen Werk ein
Geheimnis steckte, das allen anderen Malern fremd war: die