NEUERWERBUNGEN DER GRUPPE JUNGE KUNST
DER VEREINIGUNG ZÜRCHER KUNSTFREUNDE
Die Gruppe Junge Kunst der Vereinigung Zürcher Kunst-
freunde (Ruedi Bechtler, Jacqueline Burckhardt, Claudia
Jolles, Patrick Frey, Christian Klemm) kann jährlich frei
über ein Ankaufsbudget von Fr. 50 000.— verfügen und hat
manchmal das Glück, weitere Zuwendungen von Mitglie-
dern zu erhalten.
Anlässlich seiner Ausstellung im Frühjahr 1988 in der
Basler Kunsthalle wurde vom Schweizer Anselm Stalder
ein Hinterglasbild aus der Serie «Le sei finestre» erwor-
ben, das die Sicht aus einem der sechs Fenster seiner Mai-
länder Atelier-Wohnung massstabgetreu, 2 m x 1 m, wieder
gibt. Hinter Glas zu malen ist ein komplexer Vorgang,
denn je mehr Farbe der Künstler aufträgt, um so schwie-
riger ist es für ihn zu erkennen, was von vorne, dem Stand-
punkt des Betrachters, gesehen wird. Also je mehr sich
das Bild seiner Vollendung nähert, um so unerkenntlicher
ist es auf der Rückseite, wo.gemalt wird. Das weiss jeder,
der je ein Hinterglasbild von hinten betrachtet hat. Der
Malvorgang ist demnach ein umgekehrter als üblich, eine
Herausforderung für den Künstler, ein anderer Denkvor-
gang und eine spezifische Disziplin — für Stalder eine
radikale Hinterfragung der Wahrnehmung einer ganz
banalen Wirklichkeit, wie eben jener der Sicht aus einem
Fenster. Von Stalder hatte die Gruppe Junge Kunst bereits
1982 ein Bild mit dem Titel «Der Plastiker» gekauft, und
wenige Jahre später erwarb das Kunsthaus die grosse
Skulptur «Die Stadt».
Tony Cragg war 1977, als die Gruppe Junge Kunst eine
Arbeit von ihm kaufte, ein Geheimtip. Heute ist er rund
um den Globus in der Kunstwelt bekannt. Es war daher
kein Wagnis mehr, Craggs «Grünes Blatt» von 1983 zu er-
werben. Aber es ging darum, den bestehenden und inter-
essanten Kern der Sammlung englisch-zeitgenössischer
Kunst im Kunsthaus um ein gutes Werk zu erweitern.
Das Werkmaterial des «Grünen Blattes» ist Plastik-
abfall, unscheinbare Nichtigkeiten, die Cragg zu neuem
Leben erweckt und die er in den ins Übergrosse aufge-
blähten Umriss eines kleinen, daneben angebrachten
Plastikpflanzenzweiges einstreut. So ergibt sich zwischen
dem Sujet und dem Material eine kuriose, absurde Bezie-
hung, die auch zu soziopolitischen Reflexionen über die
Wegwerfgesellschaft anregen kann. Aber man wird bald
merken, dass die Arbeit nicht den verbitterten Bierernst
eines zornigen Ökologen ausstrahlt, sondern mit scharfer
Intelligenz, mit Poesie von einer mit englischem Humor
ausgerüsteten Künstlerpersönlichkeit geschaffen ist.
Das Thema der Zusammenarbeit zweier Künstler wie
etwa von Fischli/Weiss und Biefer/Zgraggen, wo die Hand:
schriften im Werk nicht mehr auseinanderzudividieren
sind, wo selbst die Künstler vergessen, wem was eingefallen
ist und wer was getan hat, kann zu tausend Überlegungen
anregen. Sicher ist jedenfalls, zu zweit kann man stärker
sein, befindet sich im ständig anregenden Diskurs mit
dem Partner, entgeht der Gefahr, sich in die — für das
Publikum nur iin seltenen Fällen interessante — persönliche
Erfahrungs- und Erlebniswelt zu verbohren.
Mit einer sperrigen Arbeit von Marcel Biefer und Beat
Zgraggen hat die Gruppe Junge Kunst eines der wohl
schwierigsten Werke in ihrer Sammlung erworben, ein
Holz-Gestell, wie man es aus alten Kellern kennt, mit
fünf Plastikbecken, in welche sog. «Ausgrabungen» in
Beton eingegossen sind. Biefer/Zgraggen verstehen sich als
Archäologen. Und so wie in Griechenland Archäologen
Griechisches ausgraben, graben Biefer/Zgraggen in Zürich
Zürcherisches aus und stossen halt je nachdem nach 10 cm
auf eine elektrische Leitung. «Die Archäologie ist uns ein
Mittel, die über der Kultur lagernde Gesellschaft zu
untergraben, sowie zur Beobachtung des Verhaltens der
Gesellschaft, auf die wir dabei so wenig Rücksicht neh-
men, weil sie Kultur ist. Häufig finden wir die Versteine-
rung ihres Zustandes.» (Biefer/Zgraggen)
In Weiterführung unserer Sammlung von Arbeiten von
Peter Fischli und David Weiss wurde eine Photographie
gekauft, welche die erste grössere Zusammenarbeit der
beiden Künstler im Jahre 1979 dokumentiert, ein Werk aus
der sogenannten «Wurstserie» mit dem Titel «In den Ber-
gen». Mit den banalsten Gegenständen, Kissen, Speisen
wie Edamerkäse, Teller, Schnur u.a., ist eine typisch
schweizerische Alpenszenerie nachgestellt nach dem
Schema der Postkarte aus den Skiferien, mit Alpenglühen
und langen Schatten hoher Berge, mit dunkelblauem
Bergsee, Gondel und Chälets, kurz, mit allem was zum
obligaten und beliebten Image unserer Bergwelt gehört.