Die Ausstellung umspannte die Zeit von 1840 bis 1904
und war nach chronologisch-stilistischen Gesichtspunkten
gegliedert. Eine erste Abteilung zeigte die noch stark wirk-
samen Einflüsse der 1757 gegründeten Petersburger
Akademie, aber inhaltlich bereits eine Zuwendung zu
genrehaften Darstellungen aus dem Volksleben. Der
Auszug von 14 Absolventen der Akademie im Jahr 1863
führte zur Gründung der «Genossenschaft zur Veranstal-
tung von Wanderausstellungen» und zum Programm eines
sozialkritischen Realismus, der wohl eigenständigsten
Ausformung russischer Kunst dieses Jahrhunderts. In einer
Zeit der politischen Reformen trat das Volk als Protagonist
in die Bildwelt ein. Leider musste aus konservatorischen
Gründen auf die lehrhaften Riesenformate verzichtet
werden, doch wurden die Anliegen der «Wanderer» in
prägnanten Bildern u.a. von Repin, Jaroschenko, Sawizkij,
Kassatkin bis Archipow auch so deutlich. Nach einem
Abstecher zu einer am Naturalismus orientierten Land-
schaftsmalerei, der ein bislang unbekanntes Frühwerk von
Kuindshi besonderen Glanz verlieh, folgten Historien-
bilder von Repin, Wassnezow und Surikow, welche eine
Tendenz der achtziger Jahre zum Rückzug aus der unmit-
telbaren Darstellung sozialer Gegenwartsprobleme
vertraten und zu den symbolistischen, märchenhaften
oder religiösen Kompositionen des späten Ge und Neste-
rows überleiteten. Bedeutende Werkgruppen von Lewitan
und Serow zeigten letzte Höhepunkte russischer Land-
schafts- und Porträtkunst, bevor diese zu einer am Impres-
sionismus orientierten harmlosen Gesellschaftsmalerei
wurde,
Die Ausstellung erlaubte nicht nur reizvolle Vergleiche
mit der vorangegangenen amerikanischen Malerei
derselben Epoche, sie füllte eine kunsthistorische Lücke
und vermittelte einem zahlreichen Publikum viel von den
schweren Problemen und dem speziellen Lebensgefühl
einer durch die Literatur und Musik im Westen vertrauten
Kulturnation, deren Bildwelt für einen Sommer ins
«gemeinsame Haus Europa» zurückkehrte.
Salvador Dali
1904-1989
Wie von den Organisatoren nicht anders erwartet, erwies
sich die zusammen mit der Staatsgalerie Stuttgart organi-
sierte Ausstellung des katalanischen Künstlers als eigentli-
cher Publikumsmagnet des Jahres. Anfänglich zum 85.
Geburtstag des ebenso berühmten wie umstrittenen
«Surrealisten» geplant, wurde die erste Retrospektive
Salvador Dalis in der Schweiz auch zu dessen erster
Gedächtnis-Ausstellung. Ihr Anliegen war, das Lebenswerk
des spanischen «Universalgenies», das nicht nur durch
seine exzentrischen Auftritte, sondern auch durch wieder-
holte Fälschungsskandale in Verruf geraten war, auf seinen
genuinen Beitrag zur Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts
hin neu zur Diskussion zu stellen. Um die Gesamtschau
auf sein Werk aus dieser Perspektive heraus zu ermöglichen,
hatten sich Stuttgart und Zürich nicht allein bemüht, trotz
grosser Schwierigkeiten im Leihverkehr die teils weltbe-
rühmten Bilder und Skulpturen des eigentlichen Surreali-
sten zusammenzutragen, sondern auch den jungen Dali,
den sprunghaft sein Stilgewand wechselnden «Impressioni-
sten», «Kubisten», «Neusachlichen» und «Präsurrealisten»,
mit wenig oder gar nicht bekannten Frühwerken vorstellen
zu können.
In der streng gegliederten Architektur folgten auf eine
«theatralische» Eingangs-Situation die ausserhalb Spaniens
nie in diesem Umfang gezeigten Arbeiten aus den zwan-
ziger Jahren, welche gegen Ende des Dezenniums mit
prominenten Bildern wie Das finstere Spiel, Der grosse Mastur-
hator und Katserliches Monument für die Kind-Frau, Gala (beide
aus dem Legat Dali nur nach Zürich ausgeliehen) zu den
Hauptwerken der dreissiger Jahre überleiteten. Solcherart
in den umfassenden Kontext des Gesamtschaffens einge-
bettet, fand sich das eigentliche Herzstück der Ausstellung,
Dalis umfangreiche Werkgruppe aus der surrealistischen
Zeit, auf zwei grosse Räume aufgeteilt, mit den Haupt-
werken wie Architektonisches Angelus von Millet, Herbstlicher
Kannibalismus, Vörahnung des Bürgerkriegs oder Der Schlaf.
Zudem war es gelungen, die weithin verstreuten Bilder und
Zeichnungen Dalis aus der ehemals berühmten Surrea-
lismus-Sammlung des anglo-amerikanischen Exzentrikers
Edward James zu einem grossen Teil in der Ausstellung wie-
der zu vereinigen.