AUSSTELLUNG DER SCHWEIZERISCHEN
STIFTUNG FÜR PHOTOGRAPHIE
«Photographie Nebensache»
Hans Knuchel —- Reto Rigassı - Vladimir Spacek
Anstelle der geplanten Retrospektive über das Werk von
Emil Schulthess hatte die Stiftung die unerwartete Mög-
lichkeit, drei Photographen vorzustellen, deren experi-
mentelles Schaffen verwandt ist. Alle drei arbeiten mit
elementaren Mitteln der Photographie: Mit der «Camera
Obscura», mit dem Licht, der Beleuchtung und Spiege-
iungen sowie mit Veränderungen, die sich durch die Ein-
wirkung der Sonnenstrahlen ergeben.
Vladimir Spaceks grossformatige Photos wurden gros-
sen reflektierenden Glasflächen gegenübergestellt, um da-
durch eine Raumerweiterung, Verdoppelung und Trans-
sarenz zu erreichen. Durch die Spiegelung wurde
gleichzeitig der Betrachter ins Spiel gebracht. Eine Multi-
diaprojektion mit Menschensilhouetten und Waffen kon-
frontierte den Besucher mit der Gewalt in unserer Zeit.
Bei Rigassis Arbeiten ist die Einwirkung des Sonnen-
lichtes von entscheidender Wichtigkeit — durch den
Gebrauch einer Linse, die Brennspuren des Sonnenlichtes
in Papier zeichnet, oder in seinen Gletscheraktionen, bei
denen durch Abdecken mit weissen Tüchern die Einwir-
kung der Sonnenstrahlen reflektiert wird und so nach
einiger Zeit plastische Formen auf dem Gletscher erschei-
nen. Um diesen vergänglichen Prozess festzuhalten,
benützt Rigassı die Kamera. Im Gesamtwerk Rigassis ist
das Erbe der «land art» deutlich zu erkennen.
Bei Hans Knuchel bestimmt die Form der Kamera die
Bildarchitektur. Mit seinen selber konstruierten Lochka-
meras erforscht er neue Abbildungsmöglichkeiten. Auch
Dei seinen Stereophotographien provoziert uns Knuchel,
unsere eigenen Wahrnehmungsmöglichkeiten neu zu
erleben. Er fordert uns auf, sich in spielerischer Art und
Weise auf neue Formen des Sehens einzulassen. LE
AUSSTELLUNGEN IN DER SAMMLUNG
Richard Gerstl
Erst zum dritten Mal erlebte das zwischen 1905 und 1908
entstandene, schmale und eruptive Werk des Wiener
Malers Richard Gerstl eine grössere Präsentation. Im
Anschluss an das Kunstforum Wien wurde er überhaupt
»rstmals ausserhalb Österreichs in fast vollständiger
Zusammenfassung seines erhaltenen Schaffens in Zürich
vorgestellt. Leider - wie oft in solchen Fällen frühvollen-
det jung Verstorbener - ist eine Rückführung in die Kunst-
geschichte ein schwieriges Unterfangen. Die eingebürger-
ten Namen und Stilformen haben das «Gesicht der
Epoche» geprägt - und Gerstl wird kaum mehr aus dem
Schatten Klimts, Schieles und Kokoschkas heraustreten.
Dazu haben der Bannspruch Arnold Schönbergs, mit des-
sen Frau Mathilde Gerstl durchbrannte, und die seltsame
Nachlassgeschichte äussere Gründe geliefert. Im Kern sei-
ner Porträtmalerei, die in seinem Freundeskreis und sich
selbst ihre Modelle fand, steht die frühe Erfahrung der
Beziehungslosigkeit. Es geht nicht mehr um eine Charak-
zerisierung des Gegenüber, nicht einmal mehr um die
Erfassung von dessen psychischer Befindlichkeit - Gerstl
schilderte wohl als erster die nackte Andersartigkeit des
andern, die andere Existenz. In seinen extremsten For-
mulierungen wie dem «Gruppenbildnis mit Schönberg»
(1907) verzichtete er darum auf Gesicht und Augen und
zerstörte die physische Präsenz des Gegenüber bis zur
Formlosigkeit, wobei die wie mit Händen bearbeitete
Malhaut nur den schmerzlichen, letztlich tödlichen Ver-
lust des Körpers signalisierte. Diese Extremposition seiner
Menschendarstellung weit ausserhalb seiner Zeit verdeut-
lichte die Gegenüberstellung mit Werken aus der Samm-
lung von Munch, Kokoschka, Corinth oder Beckmann
und offenbarte vielmehr eine innere Nähe zum späten
Alberto Giacometti. GM