dern sich unverwischbar in das Gedächtnis einprägt und
immer ganz unerwartet bis zur letzten Einzelheit vor den
Augen schwebt. Das alles war mir unklar, und ich konnte
die einfachen Konsequenzen dieses Erlebnisses nicht zie-
hen. Was mir aber vollkommen klar war — das war die
ungeahnte, früher mir verborgene Kraft der Palette, die
über alle meine Träume hinausging. Die Malerei bekam
eine märchenhafte Kraft und Pracht. Unbewusst war aber
auch der Gegenstand als unvermeidliches Element des
Bildes diskreditiert. Im ganzen hatte ich den Eindruck,
dass ein kleines Teilchen meines Märchen-Moskau doch
auf der Leinwand schon existierte.»*
Wenige Seiten zuvor beschreibt Kandinsky in seinem
[913 verfassten «Rückblick» dieses «Märchen-Moskau>» als
Kindheitserinnerung an die in allen Farben aufleuchtende
Stadt in der Stunde des Sonnenunterganges. Es ist wohl
mehr als Zufall, dass sich auch Monet in den folgenden
grossen Serien vor allem Stadtmotiven zuwandte: der Ka-
thedrale von Rouen,* London und schliesslich Venedig. In
anderen Folgen rückt er geometrische Strukturen in den
Vordergrund: die bildparallele Reihe der Pappeln oder die
japanische Brücke. Und in den zahlreichen Bildern der sin-
kenden Sonne hinter dem Parlamentsgebäude oder San
Giorgio Maggiore sucht er unerhörte, märchenhafte Farb-
klänge. Formal macht sich hier wohl ein doppeltes, gegen-
läufiges Bedürfnis geltend: die klaren, orthogonalen Ele-
mente verleihen dem Bildgefüge Halt, betonen die
Bildfläche und lassen in ihrem Widerstand zugleich die
Energie der malerischen Auflösung der Dinge aufscheinen.
[nhaltlich zeigt sich eine Affinität zum zeitgleichen Sym-
bolismus, seiner Vorliebe für das mittelalterlich Gotische,
das Artifizielle und die Dämmerung; auch Monet verlangt
jetzt von einem Bild, dass es ein «mystere» enthalte. Die
frühen, meist hymnischen Kritiken sind vom sinnlich pre-
ziösen Sprachgebrauch der Symbolisten durchtränkt.
Monet selbst blieb allerdings bei seinem alten natura-
listischen Standpunkt: er wolle möglichst genau wieder-
geben, was er sehe. Im Begriff «sensation», den Baudelai-
re ins Zentrum der Kunst rückte, vereinigen sich die
beiden Perspektiven; er bezeichnet diesen fliessenden
Schwellenbereich zwischen sinnlicher Wahrnehmung
und visionärer Phantasie. Während die spätzeitlich nostal-
gische Decadence diesen letzteren Aspekt im Träumeri-
schen der Abenddämmerung suchte, findet der andere im
Auftauchen des Sichtbaren aus dem Dunst der Morgen-
dämmerung seinen Inbegriff: ursprüngliches Sehen in der
von keinem Vorwissen konditionierten und getrübten
Unmittelbarkeit des ersten Blickes des geheilten Blinden.“
Der Ausgangspunkt für die Neuorientierung oder - besser
- Intensivierung der Kunst Monets 1890 geht nach seinen
Aussagen auf ein Erlebnis und einen Gedanken von 1879
am Ende des eigentlich impressionistischen Jahrzehnts
zurück. Die Beobachtung, wie die ersten Sonnenstrahlen
die Kirche von Vetheuil langsam aus dem dichten Nebel
ins Sichtbare hoben, brachte ihn auf die Idee, die Verän-
derung der Atmosphäre, des Lichtes im Lauf des Tages
ınd der Jahreszeiten in verschiedenen Zuständen des glei-
chen Motivs aufzuzeigen. Nachdem er in den achtziger
Jahren auf zahlreichen Reisen dramatische Landschafts-
perspektiven festgehalten hatte — die zerklüfteten Küsten
der sturmgepeitschten Nordsee, blendend helle Gebirgs-
ketten an der Cöte d’Azur, die düstere Schlucht der Creu-
se —, kehrte er nun zu den schlichten ländlichen Motiven
um sein neu erworbenes Anwesen in Giverny zurück und
begann mit den Heuhaufen sein Konzept in die Tat umzu-
setzen. Schon früher hatte er öfters mehrere Bilder mit
dem gleichen Motiv gemalt, doch nun systematisierte er
das Prinzip, indem er die momentane Stimmung viel
enger und präziser fasste und so die Anzahl der Versionen
vervielfachte. Anschliessend verdichtete er die verschie-
denen, vor dem Motiv rasch skizzierten «Impressionen»
in langem Atelierstudium zu intensiv durchgearbeiteten
Bildern und stimmte diese zugleich zu einer spannungs-
reichen und harmonischen Serie von Variationen ab.*
Die vier Gemälde, die sich im Kunsthaus zusammen-
gefunden haben, gehören vier verschiedenen Serien an:
der Heuhaufen der ersten, der Palazzo Ducale zu den letz-
ten, 1908 skizzierten und bis 1912 ausgearbeiteten Moti-
ven aus Venedig, die beiden übrigen Gemälde zu den drei
ımfangreichsten und künstlerisch wohl konsequentesten
Serien, die in den drei Winter 1899 bis 1901 in London
begonnen und bis 1904 vollendet wurden.“ Monet prä-
sentierte jede Folge in einer speziellen Ausstellung, um
die Spannweite der «effets» - sowohl der atmosphärischen
wie der künstlerischen - zu vergegenwärtigen. Obwohl
unsere Bilder verschiedene Motive zeigen, sind sie SO