Es ist ein «interesseloses Wohlgefallen», das alle Schau-
plätze, Ereignisse und Nonereignisse als Fluidum verbin-
det, damit sie sich ununterbrochen in leicht hypnotischer
Wirkung aus dem Bildschirm ergiessen können. Als
Strom, der weder einfach aufzuhalten noch je ganz erfass-
bar wäre.
Es ist, als wären Fischli/Weiss in die Welt hinausgegan-
gen, um in entwaffnender Klarheit sıch im Namen der
Kunst die Aufgabe zu stellen, das Gute, Schöne und
Nützliche ein für allemal nach Hause zu bringen.
PIPILOTTT RIST,
YOGHURT ON SKIN - VELVET ON TV, 1994
8-Kanal-Videoinstallation mit 1 Videoprojektor, 7 LCD-Aktiv-
matrix-Kleinstmonitoren, 3 Trackspots, 3 Muscheln, 3 Damen-
Handtäschchen, Samtkissen, Stahl und rosa/orange/gelben
Wänden.
Pipilotti Rist ist 167 cm gross. Dies plus die Information
“[’m not the girl who misses much” (nach einem Beatles-
Song) bildet zusammen den Titel ihrer Publikation, die
[994 vom Kunstmuseum St.Gallen, der Neuen Galerie
am Landesmuseum Joanneum, Graz, und dem Kunstver-
:äin Hamburg anlässlich einer Wanderausstellung heraus-
gegeben worden ist. Pipilotti Rist ist 1962 im St. Galler
Rheintal geboren und erregte in den vergangenen Jahren
nicht nur in der Kunstwelt einiges Aufsehen mit innova-
tiven Video-Arbeiten, die dem als kalten Medium be-
kannten elektronischen Bild neue Wärme und Lebens-
nähe einzuhauchen scheinen. 1994 vertrat sie die Schweiz
an der Biennale in Säo Paulo, wo sie den Besuchern
anbot, ihre Köpfe in sternförmige Gebilde zu stecken und
sich mit allen Sinnen den wilden Bildwelten von Video-
Bändern wie «Sex Sad I», 1987, «(Entlastungen) Pipilottis
Fehler», 1988, «Pickelporno» 1992, auszusetzen.
In ihrem Curriculum schreibt Pipilotti Rist über sich
selber: «Ihr Schwerpunkt sind Videoinstallationen, weil da
alles (Malerei, Technik, Sprache, Musik, Bewegung, miese,
fliessende Bilder, Poesie, Hektik, Ahnung vom Sterben,
Sex und Freundlichkeit) Platz hat, wie in einer kompakten
Handtasche.» Nun sind Blicke in die Handtaschen von
Damen bekanntlich etwas Indiskretes. Betritt man die
Videoinstallation «Yoghurt on Skin —- Velvet on TV», 1994,
die von der Gruppe Junge Kunst der Vereinigung Zürcher
Kunstfreunde (VZK) angekauft wurde, so vermittelt sich
dieses Gefühl des Überschreitens unsichtbarer Grenzen
auf mehreren Ebenen.
Zwielichtig-zweideutig empfängt einen der Rotlicht-
zauber gewisser Etablissements, ein Eindruck der sanft
untermauert wird durch die Präsenz von barocken samte-
nen Gebilden, die an Barhocker erinnern. Durch den
Raum streichen Lichtkegel, um für Momente die hier ver-
sammelten Gegenstände irrlichtern hervorzuheben und
sie zum «Glühen» zu bringen: Damenhandtaschen halb-
geöffnet, die sich abwechseln mit grossen Meeresmu-
scheln. Schon ist man in eine weitere «Falle» geraten,
denn wer hören und sehen will, was aus dem Innern die-
ser Objekte dringt, muss sich ihnen tief entgegenbücken.
Während an der Stirnwand als Videoprojektion sich
wogend eine Unterwasserlandschaft mit Schwimmerin
ausbreitet, gibt das Innere der weiblich konnotierten
«Behälter» den Blick frei auf Kleinstmonitörchen mit Bil-
dern, die trotz des Miniaturformates voll sinnlicher Kraft
sind. Ein Auge in Nahaufnahme, Blut fliesst, eine brasi-
lianische Tänzerin filmt sich selber in tänzerischer Ak-
tion, und wir hören eine sich überdrehende weibliche
Singstimme oder unverständliche, scheinbar dringliche
Messages aus der Muschel dringen.
Bice Curiger