Volltext: Jahresbericht 1995 (1995)

Es ist ein «interesseloses Wohlgefallen», das alle Schau- 
plätze, Ereignisse und Nonereignisse als Fluidum verbin- 
det, damit sie sich ununterbrochen in leicht hypnotischer 
Wirkung aus dem Bildschirm ergiessen können. Als 
Strom, der weder einfach aufzuhalten noch je ganz erfass- 
bar wäre. 
Es ist, als wären Fischli/Weiss in die Welt hinausgegan- 
gen, um in entwaffnender Klarheit sıch im Namen der 
Kunst die Aufgabe zu stellen, das Gute, Schöne und 
Nützliche ein für allemal nach Hause zu bringen. 
PIPILOTTT RIST, 
YOGHURT ON SKIN - VELVET ON TV, 1994 
8-Kanal-Videoinstallation mit 1 Videoprojektor, 7 LCD-Aktiv- 
matrix-Kleinstmonitoren, 3 Trackspots, 3 Muscheln, 3 Damen- 
Handtäschchen, Samtkissen, Stahl und rosa/orange/gelben 
Wänden. 
Pipilotti Rist ist 167 cm gross. Dies plus die Information 
“[’m not the girl who misses much” (nach einem Beatles- 
Song) bildet zusammen den Titel ihrer Publikation, die 
[994 vom Kunstmuseum St.Gallen, der Neuen Galerie 
am Landesmuseum Joanneum, Graz, und dem Kunstver- 
:äin Hamburg anlässlich einer Wanderausstellung heraus- 
gegeben worden ist. Pipilotti Rist ist 1962 im St. Galler 
Rheintal geboren und erregte in den vergangenen Jahren 
nicht nur in der Kunstwelt einiges Aufsehen mit innova- 
tiven Video-Arbeiten, die dem als kalten Medium be- 
kannten elektronischen Bild neue Wärme und Lebens- 
nähe einzuhauchen scheinen. 1994 vertrat sie die Schweiz 
an der Biennale in Säo Paulo, wo sie den Besuchern 
anbot, ihre Köpfe in sternförmige Gebilde zu stecken und 
sich mit allen Sinnen den wilden Bildwelten von Video- 
Bändern wie «Sex Sad I», 1987, «(Entlastungen) Pipilottis 
Fehler», 1988, «Pickelporno» 1992, auszusetzen. 
In ihrem Curriculum schreibt Pipilotti Rist über sich 
selber: «Ihr Schwerpunkt sind Videoinstallationen, weil da 
alles (Malerei, Technik, Sprache, Musik, Bewegung, miese, 
fliessende Bilder, Poesie, Hektik, Ahnung vom Sterben, 
Sex und Freundlichkeit) Platz hat, wie in einer kompakten 
Handtasche.» Nun sind Blicke in die Handtaschen von 
Damen bekanntlich etwas Indiskretes. Betritt man die 
Videoinstallation «Yoghurt on Skin —- Velvet on TV», 1994, 
die von der Gruppe Junge Kunst der Vereinigung Zürcher 
Kunstfreunde (VZK) angekauft wurde, so vermittelt sich 
dieses Gefühl des Überschreitens unsichtbarer Grenzen 
auf mehreren Ebenen. 
Zwielichtig-zweideutig empfängt einen der Rotlicht- 
zauber gewisser Etablissements, ein Eindruck der sanft 
untermauert wird durch die Präsenz von barocken samte- 
nen Gebilden, die an Barhocker erinnern. Durch den 
Raum streichen Lichtkegel, um für Momente die hier ver- 
sammelten Gegenstände irrlichtern hervorzuheben und 
sie zum «Glühen» zu bringen: Damenhandtaschen halb- 
geöffnet, die sich abwechseln mit grossen Meeresmu- 
scheln. Schon ist man in eine weitere «Falle» geraten, 
denn wer hören und sehen will, was aus dem Innern die- 
ser Objekte dringt, muss sich ihnen tief entgegenbücken. 
Während an der Stirnwand als Videoprojektion sich 
wogend eine Unterwasserlandschaft mit Schwimmerin 
ausbreitet, gibt das Innere der weiblich konnotierten 
«Behälter» den Blick frei auf Kleinstmonitörchen mit Bil- 
dern, die trotz des Miniaturformates voll sinnlicher Kraft 
sind. Ein Auge in Nahaufnahme, Blut fliesst, eine brasi- 
lianische Tänzerin filmt sich selber in tänzerischer Ak- 
tion, und wir hören eine sich überdrehende weibliche 
Singstimme oder unverständliche, scheinbar dringliche 
Messages aus der Muschel dringen. 
Bice Curiger
	        
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