JEAN-LUC MANZ
Jean-Luc Manz (geb. 1952) ist als Maler geometrisch struk-
turierter Bilder bekannt. Seine wenigen Zeichnungen sind
autonome Werke, in denen er die Variabilität der Linie
untersucht. Der Waadtländer Künstler benützt das kon-
struktive Vokabular (eine Lohse-Ausstellung mit Farbstift-
Zeichnungen hat ihn nach eigenen Angaben nachhaltig
beeinflusst), geht aber total intuitiv und ungezwungen
damit um: Strenge, die Freiheit erlaubt. Die Graphische
Sammlung erwarb von Jean-Luc Manz eine Reihe von 21
fortlaufend numerierten Farbstiftzeichnungen auf Ing-
res-Papier, die alle auf demselben Grundschema basieren:
Von der horizontalen Mittelachse eines durch feine Blei-
stiftumrisse definierten hochformatigen Rechtecks aus
werden nach oben und unten im Abstand von 7 mm par-
allele Farbstiftlinien gezogen, bis diese ein «koloriertes»
Quadrat bilden.
Die Serie beginnt mit den drei Grundfarben plus Grün
in der Reihenfolge: Blau, Grün, Rot und Gelb. Ab Blatt 5
setzen dann - sporadisch und beinahe unmerklich — zwei-
farbige Kombinationen ein: schwarz und braun alternie-
rende Linien etwa, gefolgt von «Abarten» der ersten vier
Farben: Hellblau, Olivgrün, Karminrot und Orange. Auf
Blatt 10 treten dann wieder alternierend Hell- und Dun-
kelblau auf, auf Blatt 11 Oliv- und Lindengrün, usw. Von
Blatt 14 an verstärken sich die Kontraste: Es werden Blau
und Grün gegeneinander ausgespielt, oder gar Karminrot
und Olivgrün (Blatt 17). Blatt 18 «überrascht» mit einer
Vierfarben-Kombination, d.h. erst bei längerem Betrach-
ten wird man gewahr, dass überhaupt so viele Farben im
Spiel sind: Hell- und Dunkelblau, Oliv- und Lindengrün.
Auf dem folgenden Blatt bricht Manz mit einer weiteren
«Regel»: waren die horizontalen Linien bisher immer
«monochrom», bestanden sie also jeweils aus einem ein-
zigen Strich, so überlagert er nun in Nr. 19 verschiedene
Striche (hier: Grüntöne), und dies weder systematisch
alternierend noch irgend einer anderen einsichtbaren
Regel entsprechend. Nach diesem «Chaos» tritt wieder
Ruhe ein: Das zweitletzte Blatt ist delikat zitronengelb.
Die Serie wird durch einen etwas intensiver leuchtenden
Akzent abgeschlossen: Ein Raster zitronengelber Grund-
linien, über die ein zweiter, äusserst feiner, entweder roter
oder orangefarbener Strich gezogen wird. Die in der Serie
zu beobachtende Steigerung vom Einfachen zum Kom-
plexen wird somit in den beiden letzten Blättern zusam-
mengefasst (bestätigt) und zugleich «banalisiert» (ent-
schärft, farblich gemildert).
Der Aufbau der Zeichenfolge verleitet einen dazu, sie
«symbolisch» zu deuten. Als Einleitung werden gleichsam
die vier Elemente evoziert, wobei noch auszumachen ist,
welche Farbe zu welchem Element gehört (mein Vor-
schlag: Blau = Wasser, Grün = Erde, Rot = Feuer und
Gelb = Luft). Die Folge endigt in verklärendes und
entmaterialisierendes Licht. Diese Tendenz zur Vergeisti-
gung ist auch in anderen jüngeren Arbeiten Manz’ zu
beobachten, hat er doch schon verschiedentlich weisse
Neonröhren in monochrome Bilder integriert, die die
Farbe zum Schweben bringen. In den 21 Zeichnungen
geht es aber nicht um die Verneinung einer absoluten phy-
sischen Präsenz, sondern um das Herantasten an eine
andere Art von Dichte, die wohl «Ilyrisch» zu nennen
wäre.
Bernhard Fibicher