Volltext: Jahresbericht 1997 (1997)

LOTHAR BAUMGARTEN 
«VOM AROMA DER NAMEN», 1985 
Die mit der Arbeit «Vom Aroma der Namen», sechs far- 
bige Siebdrucke, von Lothar Baumgarten verbundenen 
biographischen Anekdoten* sollen uns hier nicht inter- 
essieren. Was einzig zählt, ist die «einmalige (?!) Erschei- 
nung» der Drucke. 
Das Auge wird zuallererst durch die leuchtenden 
Farben der Schrift angezogen, will in einer Reflexbewe- 
gung die schriftliche Nachricht entziffern. Das Parkett, 
d.h. sechsmal derselbe Ausschnitt aus einem Parkett, 
wird bloss als Hintergrund wahrgenommen. Das Fisch- 
gratparkett aus im rechten Winkel diagonal aufeinander- 
treffenden Stäben ist auch im Bild diagonal angeordnet. 
Die Schrift folgt diesem Grundraster, indem sie sich ihm 
kreuzweise oder rautenförmig ein«schreibt» und so ge- 
wissermassen eine «virtuelle Intarsie» bildet. Die sechs 
Blätter werden normalerweise an der Wand präsentiert 
(ihr recht grosses Format verbietet das intime Blättern in 
einer Graphikmappe). Der photographierte Boden kippt 
auf diese Weise von der horizontalen in die senkrechte 
Ebene - womit die natürliche Bezugsachse des Baums 
wiederhergestellt wäre. Der Boden wird zum Bild, das 
Parkett verweist auf den Baum, der Bildträger (das 
Papier) erinnert an die Substanz, aus der er gemacht ist — 
Holz. Darüber hinaus beziehen sich die meisten serigra- 
phierten Wörter auf (für uns exotische) Baumnamen. 
Das semantische Feld ist auf allen Ebenen gut umrissen. 
Trotzdem schliesst sich kein (logischer) Kreis. Vieles 
bleibt unfassbar, unfassbar wie ein Duft, wie das Aroma 
der Namen. 
Der Grossteil der auf die Parkettfragmente gedruckten 
Namen entzieht sich unserem Wissen. Allein die Be- 
zeichnungen auf einem einzigen Blatt, ursprünglich 
aus Südamerika importierte Pflanzen / Lebensmittel (wie 
Kaffee, Tabak, Mais, Vanille...), gehören zu unserem all- 
täglichen Vokabular. Daraus kann man aber weder auf 
irgendeine Taxinomie noch auf eine übergeordnete 
Systematik schliessen. So wie die Stäbe ım Parkett aus- 
causchbar sind, so erscheint uns auch die Reihenfolge 
der Blätter beliebig. Kurz: Das von Lothar Baumgarten 
herausgegebene botanische Lexikon ist ein weitgehend 
anlesbares Buch. Es führt uns aber sehr deutlich unsere 
Schwächen vor Augen: Zum einen die Unzulänglichkeit 
unseres phonetischen Systems, unbekannte Laute zu er- 
fassen und sie in unsere Schriftsprache zu übertragen; 
zum anderen die Insuffizienz unserer Wissenskategorien 
für das Erfassen «fremder» Elemente - der Künstler spielt 
die Reichhaltigkeit der «exotischen» Baum- und Pflanzen- 
sorten gegen die Monotonie des sechsmal identischen 
«zivilisierten» Parketts aus. Damit verweist Lothar Baum- 
garten nicht zuletzt auf die Limiten unseres Herrschafts- 
anspruchs: Die bewährte Taktik des Benennens als sym- 
bolisches Besitzergreifen scheitert kläglich (wie soll man 
dem, was man nicht kennt, einen Namen geben?), ja, die 
Schrift als Wissens- und Machtinstrument kehrt sich 
gegen seinen Inhaber um und stempelt ihn zum An- 
alphabeten (d.h. zum Unwissenden, zum Ohnmächti- 
gen). All die Namen ohne Signifikat und die Unmög- 
lichkeit, das Bild dieser anderen Welt zu rekonstruieren, 
werfen uns aber auch auf das einzige Konkrete zurück: 
die farbige Präsenz der Worte, das Aroma der Namen - 
und eröffnen uns somit höchst wertvolle Bereiche, die 
da heissen: Poesie und Utopie. 
BE 
* John T. Paoletti, «Lothar Baumgarten: Myths in Prints», in The Print 
Sollector’s Newsletter vol. XIX, N° 5, Nov./Dez. 1988, S.179f.: «In 
Baumgarten’s Von (sic) Aroma der Namen, a print of six units from 
1985, the same clear and distinct photographic image of a section of 
the parquet floor in Baumgarten’s Düsseldorf studio appears in each 
of the six sheets. (...) the studio was once used by Joseph Beuys, (...) 
Beuys actually laid the parquet floor, (...) hidden under one of the 
rectangular pieces of wood is a red feather Baumgarten brought back 
om his stav in the upper reaches of the Orinoco River...»
	        
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