Nr. 538—62. Das «Selbstporträt mit der roten Mütze» (jetzt im Basler
Museum) fand zur Freude der Künstlerin bei einem Ausstellungsbesuch
die besondere Anerkennung Menzels. Während ihrer Zwischenaufenthalte
in Zürich stand ihr eine Arbeitsstätte im Künstlergütli und nachher im
benachbarten ehemaligen Atelier Ludwig Vogels zur Verfügung. An Auf-
trägen fehlte es nicht, sie kamen aus der Schweiz, aus Paris und aus
Deutschland. Auch in England und Amerika fanden sich Freunde ihrer
Kunst.
Nach des Vaters Tod 1891 folgte sie der Aerztin Dr. E. H. Winterhalter,
mit der sie sich für das ganze Leben in enger Freundschaft verbunden hatte,
nach Frankfurt a. Main, das nun ihr Wohnort und Zentrum ihres Schaffens
wurde. Eben hatte der Malerin ein Porträt der jüngeren Schwester im
Pariser Salon die silberne Medaille verschafft, und die Anerkennung ihrer
Bedeutung war bereits in weitere Kreise gedrungen. So fand sie in Frank-
furt eine warme Aufnahme, und der Beifall, den ihre ersten dort gemalten
Porträts errangen, führte zu einer ununterbrochenen Folge von Auf-
trägen und brachte ihr einen anregenden Verkehr mit interessanten und
bedeutenden Menschen aus den verschiedensten Berufen und Ständen.
Ihr Pariser Atelier gab Ottilie Roederstein nicht auf. Bis der Krieg
ausbrach arbeitete sie in jedem Jahr dort mehrere Monate, um ihre Kräfte
zu erneuern und um mit der französischen Kunst Fühlung zu behalten.
Alle Erscheinungen auf dem Gebiet der Kunst fesselten die Aufmerk-
samkeit der Malerin. Galt ihre Neigung voll den alten Meistern und den
französischen Impressionisten, so begeisterten sie doch auch ein Van Gogh
und andere Neuerer. Am Schaffen der Schweizer Maler nahm sie lebhaften
Anteil, und die Leistungen unserer Meister erfüllten sie mit Stolz. Von den
deutschen Künstlern stand ihr v. Pidoll, der Mareesschüler, am nächsten.
Auf seine Anregung hin ging sie von der Oelmalerei zum Gebrauch der
Temperafarben über, weil diese Technik sie in die Malweise der alten
Meister einführte. In Florenz studierte sie die Primitiven, und in den
Pariser Salons Ende der 90er Jahre fand sie mit ihrer Technik bei Kollegen
und Kunstfreunden großen Anklang, weil darin das Verfahren der alten
Meister wieder auflebte. In den «Verlobten» der Kunsthaussammlung
und Nr. 73—77 der Ausstellung sehen wir Arbeiten aus dieser Zeit. Nachdem
eine Verletzung der Hand sie ein halbes Jahr lang vom Malen ferngehalten
hatte, entstand als erste Arbeit, und zwar neuerdings in Oel, das in zwei
in