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Das Wort und das Bild.
andere Bedürfnisse als wir. Das nihilistische Ins-Volk-gehen
hätte bei uns wenig Sinn. Uns fehlt eine neue Aufgabe,
eine neue Spannung für die Intelligenz; sie wird um ihrer
selbst willen gepflogen, niemand denkt mehr an eine fruchtbare
Anwendung. Wir haben ein anderes Problem, das des Rationalis
mus auszutragen. Nicht ins Volk, sondern wieder in die Kirche
gehen, könnte unsere Parole sein.)
Tschernischewsky, der hervorragendste Vertreter der geistigen,
sozialen und revolutionären Bewegung zwischen 1860 und 1870
ist Anhänger der Feuerbachschen Diesseitslehre (ganz wie Ba-
kunin zur selben Zeit).
Der Nihilismus, wie ihn Pissarew und Zajzew predigten, war
der Protest solcher Gruppen, die unter erträglichen materiellen
und sozialen Bedingungen lebten, aber unter dem Druck her
gebrachter Sitten und Ideen litten. Sie erstrebten die Freiheit
des einzelnen und bekämpften alle intellektuellen und moralischen
Fesseln. (Von alledem haben wir übergenug. Die Nachahmung
könnte nur einen Anachronismus bedeuten. Während man die
praktischen Konsequenzen aus unseren veralteten Theorien zieht,
rüsten wir schon zur ideologischen Umkehr.)
Der Nihilismus ebnete in Rußland (ganz wie im Westen) dem
Anarchismus die Wege. Der Staat gilt als Summe und General
nenner aller volksfeindlichen Autoritäten.
Mit Beginn des Jahres 1862 versucht man die revolutionären
Kräfte zu einem Ganzen zusammenzuschweißen. Den Anstoß
geben die Emigranten. Rußland sammelt jetzt die Radikalsten*
europäischen Ideen, um ähnlich wie Frankreich 1793 eine Probe
aufs Exempel zu machen. (Man kann sich bei ihnen über den
praktisch-politischen Sinn der Jungdeutschen, Hegel, Feuerbach,
Marx, unterrichten.)
Die Agrarbewegung hatte (bis 1864) keine großen und sicht
baren Resultate gezeitigt. Deshalb erwartet man eine Wieder