Jahresbericht 1949 der Zürcher Kunstgesellschaft
Im Eingang zum letztjährigen Bericht ist dargelegt worden, wie nach dem glanz-
vollen Verlauf der österreichischen Ausstellung eine Anzahl oberitalienischer Städte
an die Kunstgesellschaft gelangten mit dem Ansuchen auf Durchführung einer Aus-
stellung aus ihrem Kunstbesitz als Hülfsaktion zur Ueberwindung der unmittel-
bar und mittelbar durch den Krieg ihnen erwachsenen Schäden an Museumsgebäuden
und Museumsgut, und wie die Kunstgesellschaft daraufhin sich entschloß, den seit
Jahrhunderten mit Zürich befreundeten lombardischen Städten beizustehen, mit
Verwirklichung eines solchen Planes für direkte materielle Hülfeleistung und all-
gemeine, weithin wirkende Werbung für die Lombardei und ihre Kunstschätze.,
Diese Ausstellung ist in der zweiten Hälfte April zu Ende gegangen. Mit dem
Zustrom der Besucher aus allen Teilen der Schweiz und aus dem benachbarten und
weiter abliegenden Ausland, dem starken und vielseitigen Echo in der ganzen Tages-
presse, den Wochenblättern wie auch in den Monatschriften und den wissenschaft-
lichen Zeitschriften, dem ständigen Andrang der Kunstfreunde zu den in bisher nie
gesehener Dichte veranstalteten Führungen, ist der letztere Zweck für die Aussteller
bestimmt erreicht worden. Für Zürich und die künstlerisch und wissenschaftlich
interessierten Kreise der Schweiz hat sie in ihrem weitgespannten Rahmen mit den
in der Mehrzahl unerwarteten und seltenen Objekten der europäischen Kunstge-
schichte, vor allem auch aus den Zwischenzeiten von Antike und Mittelalter und vom
hohen Mittelalter zur neueren Zeit, allgemein künstlerische und geschichtliche An-
regung und Anschauung geboten, wie bisher kaum eine Ausstellung auf schweize-
rischem Boden. :
Noch einmal Brücken zum Ausland, aber zu den französischen und den deutschen
Nachbarn unserer Tage schlugen die Ausstellungen „Pierre Bonnard“, „Kunst in
Deutschland 1930—1949“ und die Werkgruppen Antoine Pevsner und Georges Van-
tongerloo. Sonst stand das Ausstellungsjahr ganz wieder im Dienst der zürcherischen
und schweizerischen Zeitgenossen.
Wenn die Ausstellungen in kurzen Rhythmen sich folgen und die durch sie ver-
mittelten Eindrücke einander rasch ablösen oder sich überdecken, so kann für den
Ausbau der auf Wirkung in die Tiefe und auf Dauer angelegten Sammlung nur eine
Planung auf lange Sicht gelten, mit oft schmerzlichen Pausen und hohen Ansprüchen
an zuwartende Geduld. Im Jahre 1949 wurde es möglich, unmittelbar vor Torschluß
mit entschlossenem Zugriff dem Kunsthaus einige wertvolle Skulpturen zu sichern,
dabei nichts Geringeres als auch die „Porte de l’Enfer“ von Rodin. Hinzu kam als
überaus gewichtige und bedeutende Zuwendung eine Leihgabe der kantonalen Re-
gierung, der Bronzeguß einer Aktfigur zu den „Bürgern von Calais“ von Rodin:
„Mann mit geballten Fäusten“.