Volltext: Jahresbericht 1978 (1978)

VIERZEHN ZEICHNUNGEN 
VON ROBERT MÜLLER 
Der 1920 in Zürich geborene, seit 1960 in Villiers- 
le-Bel bei Paris lebende Robert Müller gehört zu 
den bedeutendsten Plastikern seiner Generation. Ins- 
besondere ist er Anfang der fünfziger Jahre — und 
mit Ihm etwa gleichzeitig alle wichtigen Eisen- 
schmiede und -monteure unseres Landes wie Lugin- 
bühl, Mattioli, Tinguely, Voegeli, Wiggli — dazu 
übergegangen, Eisen als Werkstoff zu bearbeiten. Die 
Graphische Sammlung hat im Jahr 1978 vierzehn 
Zeichnungen von Müller erworben, welche seine 
wichtigsten Etappen belegen, die er mit diesem 
Medium durchlaufen hat — mit Ausnahme des bis 
anhin letzten, aber mindestens quantitativ wohl 
mächtigsten Ausstosses, der um 1975 einsetzte und 
etwa zwei Jahre andauerte. Diese Phase wird vor- 
läufig von nur einer Zeichnung abgedeckt, wobei 
weitere Ankäufe für einen späteren Zeitpunkt vor- 
gesehen sind. Zu erkennen ist im untersten Drittel 
dieser Zeichnung ein schwer zu beschreibendes Ge- 
bilde, dem etwas fratzenhaft Glotzendes eignet. 
Über ihm steht vertikal eine Art verschobener 
Mäander, dazu parallel eine gegenständlicher gehal- 
tene Form. die sich als Schraube definieren lässt. 
In der Ausstellung « Robert Müller/Bruno Müller» des 
Aargauer Kunsthauses Aarau (Februar/März 1978) 
waren Müllers vorläufig letzte Zeichnungen gut ver- 
treten, und im Katalog haben sich einige Autoren 
auch dazu geäussert. Dennoch muss man sagen, dass 
diese Schaffensphase kunstwissenschaftlich noch 
nicht gesichtet und ihr künstlerischer Rang, den ich 
persönlich für sehr bedeutend halte, noch nicht 
endgültig ausgemacht ist. Müller hat um 1975 eine 
schwere seelische Krise schöpferisch aufgefangen, 
indem er gleichsam aufs neue reden lernte, das heisst 
ein Vokabular mit zunächst einfachen Zeichen 
schuf, die sich dann in der Folge zu immer komplexe- 
ren Strukturen oder Metaphern verdichteten. 
Paul Nizon hat die Sprache dieser Zeichnungen im 
Katalog zur erwähnten Aarauer Ausstellung fol- 
gendermassen umschrieben: «Jetzt teilt er sich mit ir 
Zeichen, Bildzeichen, Handzeichen, Taubstummen- 
zeichen, Symbolen, Plänen, Zahlen, Metaphern, 
gleichzeitig primitiv und ausdrucksstark, geheimnis- 
voll, rätselhaft auch, elementar. 
Das hervorstechendste Merkmal: eine neue Freiheit - 
von Stilzwängen. Das Figürlichste und das Abstrak- 
teste lebt neben- und miteinander wie Wolf und Schaf 
im Paradies.» 
Diesem vor wenigen Jahren erfolgten Schub von 
Zeichnungen hat sich bis jetzt — anders als bisher be 
Müller üblich — keine thematisch-formale Ent- 
sprechung Im plastischen Werk zugesellt. Anders ge: 
sagt: nie zuvor gewann die Zeichnung für Müller 
eine derartige Autonomie. Das will wiederum nicht 
heissen, Müller habe in den rund dreissig Jahren 
vorher die Zeichnung lediglich als Vorstufe und Vor 
studie für seine plastischen Vorhaben benützt. 
Sein zeichnerisches Werk läuft eher parallel zum 
plastischen (oder wie ein zweiter Ast aus dem- 
selben Stamm), nimmt jeweils etwa gleichzeitig ähr 
liche Stimmungen, Themen und Strukturprobleme 
wie die Plastik auf. 
Unter den vierzehn von der Graphischen Sammlung 
angekauften zeichnerischen Arbeiten gibt es ein 
einziges Blatt, das im strengen Sinn als Entwurfskizze 
zu einer bestimmten Plastik gewertet werden 
muss. Es trägt den Titel «Langouste» und steht in 
enger Beziehung zur 1955 geschaffenen Eisen- 
skulptur gleichen Namens, die drei Jahre später für 
die Sammlung des Kunsthauses erworben wurde. 
Diese Zeichnung ist mit spitzer Feder geschaffen, ihre 
Formen und Konturen sind von scharfer Sprödig- 
keit, als sei die Härte des Eisens schon vorweg- 
genommen; auch insofern steht sie innerhalb der an- 
gekauften Blätter vereinzelt da. 
>
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.