Volltext: Jahresbericht 1987 (1987)

verstehen. Am unmittelbarsten ist noch die Beziehung zur 
Vorstellung des Grundrisses und damit zu einem unräum- 
lich Flächigen; das Prinzip der Einfassung gehört ebenso- 
sehr zu den elementaren Bildformen wie zur Gartenbau- 
kunst. Von aussen nach innen lässt sich die Abfolge der 
fünf Umfriedungen ohne weiteres verfolgen; die äusseren 
sind in sich stärker gebunden, während sich gegen das 
Zentrum der Quadratraster zunehmend reiner ausprägt 
und damit das einzelne Viereck gleichwertig auf alle vier 
Seiten bindet und kontrastiert. Mit jeder Stufe werden die 
Flächen kleiner, die Farben reiner und die Helldunkel- 
Werte ausgeprägter; im innersten Bereich mit den 
schwarzen Eckbetonungen fühlt man sich fast an frühmit- 
telalterliche Reliquiare und ihren symbolischen Edelstein- 
besatz erinnert. Doch diese hieratische Struktur wird von 
einem dynamisch rotierenden Moment überlagert, das von 
den diagonal desaxierten Farbverteilungen, vor allem vom 
Gelb ausgeht. 
So verweben sich eine grössere Zahl von Ordnungsprinzi- 
pien; die innere Nähe zur Musik, insbesondere zu Bachs 
Polyphonie, wird augenfällig, und wie dort leuchten hier 
unversehens allgemeinere Harmonien auf. Denn nicht wie 
bei einem Computer werden hier die Gesetzmässigkeiten 
gehandhabt, sondern mit atmender Lebendigkeit; in dieser 
Freiheit über dem Gesetz verwirklicht sich die schöpfe- 
tische Spannung. Dass man nun im Kunsthaus ein solches 
Werk studieren und geniessen kann, ist gerade hier im 
Vergleich zu den Arbeiten der Zürcher Konkreten von 
besonderem Interesse, sieht man doch in diesen äusserlich 
gleichartige Prinzipien mit völlig anderem Resultat syste- 
matislert. 
Lebt das «Blühende Beet» ganz aus der Farbe, so beruht die 
«Sandbank» (Abb. 11) fast ausschliesslich auf Linien, weich 
fliessenden Umrissen um amöbenartige Formen, wie sie 
Arp schon zu DADAs Zeiten als Grundlage seiner Kunst 
antwickelte. 1939 entstanden, steht die Arbeit im Zusam- 
menhang mit der überaus reichen Produktion von Zeich- 
nungen dieses Jahres. Die Mittel brauchen nicht mehr 
erforscht zu werden; sie sind geläufig und werden mit Präzi- 
sion und Ökonomie eingesetzt; mit knappen und gross- 
zügigen Linien umreisst Klee flächige Figurationen. Blatt 
folgt auf Blatt; im Bewusstsein, dass seine Tage gezählt sind, 
schreibt er seine ideogrammatischen Zeichen nieder, in 
denen er sich mit der unheilvollen Entwicklung der Zeit, 
vor allem aber mit seiner existentiellen Situation auseinan- 
dersetzt. Spielte für die Farbtafeln die Erfahrungen in Tunis 
und die islamische Ornamentik eine Rolle, so sind es jetzt 
die Erinnerungen an die Ägyptenreise, die befruchtend 
wirken. Einerseits werden die ästhetischen Prinzipien der 
Hieroglyphen und der raumlosen Flachreliefs aktuell, 
andrerseits aber bieten die altägyptischen Vorstellungen 
von der Jenseitsreise und den Übergängen zwischen Leben 
und Tod wichtige Anregungen. Bootsfahrten, oft gefähr- 
liche, Inseln, seit langem Aufenthaltsorte der Seligen, zer- 
stückelte Glieder, an Osiris erinnernd, Engel und Geister 
weiland Lebender, Radpartien in einer von wuchernden 
Pilzen beschatteten, kopfständigen Unterwelt beherrschen 
diese Bilder. Auch Sandbänke passen ın dieses nilotische 
Zwischenreich: Landschaftsformationen und doch im 
Fluss wandernd und sich verändernd, anorganisch und 
doch zoomorph. Sie überlassen sich den Strömungen, die 
sie bald wachsen lassen, bald auflösen, und lehren, sich den 
Lebensgesetzen, zu denen auch der Tod gehört, zu öffnen. 
Die Dimension des Vergänglichen hat Klee ganz unmit- 
telbar in sein Werk integriert, in dem er als Bildträger eine 
alte Zeitung verwendete, Geschiebe aus dem Strom der 
Zeit. 
Auch Mir6ö öffnet sich dem Zufall und seinem 
Schwemmgut. Aber während der Sohn eines deutschen 
Musikers ganz erfüllt ist vom Gedankengut der Romantik, 
fühlt sich der Katalane bäurischer Herkunft der Welt der 
Dinge sehr unmittelbar verbunden; man braucht nur einen 
Blick auf seine frühen Werke, etwa das monumentale «Still- 
‚eben mit Hase», zu werfen, um sich der unglaublichen 
Intensität seiner Gegenstandserfassung inne zu werden. 
Gegen die Mitte der zwanziger Jahre entwickelte aber auch 
er eine ideogrammatische Bildsprache von zunehmend 
ıbstraktem Charakter; um 1930 schien ıhm der damit ver- 
bundene Realitätsverlust zu einer Krise seiner Malerei zu 
führen. Auf einer Reise nach Holland schlugen ihn die 
alten Stilleben ganz in Bann, und er begann selbst Objekte 
herzustellen, Bild-Objekte, in denen Fundstücke die ge- 
suchte materielle Präsenz gewährleisten. Abfall, vom Leben
	        
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