HINWEIS AUF
EINIGE NEUERSCHEINUNGEN
ANGELIKA KAUFFMANNS «AMOR UND PSYCHE»
Dass die beiden berühmtesten Schweizer Maler des
18. Jahrhunderts, Angelika Kauffmann! und Johann Hein-
zich Füssli, im gleichen Jahr 1741 geboren wurden, gehört
zu den neckischen Zufällen der Geschichte; wie sich
ihre Lebenswege und Kunstauffassungen entsprachen,
kreuzten und extrem auseinander entwickelten, lässt
Grundsätzliches des internationalen Klassizismus er-
kennen.
Beide stammten aus Künstlerfamilien; während aber der
Knabe Theologie studieren musste, wurde das Mädchen
von seinem Vater systematisch ausgebildet, zunächst in
Graubünden, später in Oberitalien, Florenz und Rom. Hier
entstand 1764 jenes berühmte Gemälde, das die Kunst der
Kauffmann bis jetzt allein im Kunsthaus vertrat: das
Portrait Winckelmanns, der es selbst als sein bestes bezeich-
nete und das sie im Auftrag eines Verwandten Füsslis
malte.? Dieser gelangte mittlerweile nach London und
hierhin reiste 1766 auch Angelika. Natürlich soll der genia-
lische Hitzkopf in Liebe zu ihr entbrannt sein - doch der
mittellose und unstete Literat konnte kaum als schickliche
Partie erscheinen. Denn schon bei der ersten Ausstellung
der Royal Academy 1769 erwies sich Angelika neben
Benjamin West als führend in der englischen Historienma-
lerei‚? während sich der Zürcher erst damals professionell
der Kunst zuzuwenden begann. Gleichzeitig behandelten
sie die Verführung Vortigerns durch Rowena, er in einer
Zeichnung, sie in einem Gemälde.“ Doch schon im folgen-
den Jahr holte nun Füssli seinerseits die Ausbildung in
Rom nach; kurz nach seiner Rückkehr nach London 1779
übersiedelte die Kauffmann nach Rom (1781), wo sie bis zu
ihrem Tode 1807 hoch geachtet und viel beschäftigt für eine
internationale Kundschaft tätig blieb.
Wie sich schon aus diesen beiden Lebensläufen ergibt, zeigt
sich bei den zwei Künstlern eine Phasen-Verschiebung:
obwohl gleich alt, gehören sie stilistisch zu zwei verschie-
denen Generationen. Angelikas Kunst entwickelte sich
organisch aus dem süddeutsch-oberitalienischen Spätba-
rock ihres Vaters durch das Studium der Klassiker des
‘6. und 17. Jahrhunderts - Raphael, Correggio, die Vene-
zianer, Reni und der bolognesisch-römische Barock-Klassi-
zismus bis hin zu dessen letzten Meister, Batoni.° Durch
den Kontakt mit Winckelmann und Mengs, Hamilton und
West ın Rom um 1765 wurde sie eine der ersten Vertrete-
innen des frühen Neoklassizismus, den Füssli nach seiner
Ankunft in Rom 1770 sogleich als zu spannungsarm
verwarf. Dank seiner literarischen Ausbildung im Kreise
Bodmers und des «Sturm und Drangs» waren seine ästhe-
tischen Ansichten nicht mehr auf die ideale Schönheit und
die seit dem Rokoko besonders betonte Grazie ausge-
richtet, sondern auf das erhaben Erschütternde, auf die
Terribilita. Unter dem schockartigen Erlebnis Roms, wie es
nur die Nordländer kannten und in Füsslis Zeichnung des
über die Grösse der antiken Trümmer verzweifelnden
Künstlers seinen schlagendsten Ausdruck fand, bildete sich
sein extremer, subjektivistischer Stil, der den Übergang
zum Hochklassizismus markierte. Die völlige Vernachlässi-
gung der in der älteren Malerei gepflegten dekorativen
Aspekte machte den Bruch zum Herkömmlichen
ınmässig abrupt; seine Werke müssen schon den Zeitge-
nossen als völlig exzentrisch und dem Normalverbraucher
als ungeniessbar erschienen sein. In all dem ist die Kunst der
Angelika Kauffmann das direkte Gegenteil; sie vermochte
wie kaum sonst jemand ältere und neuere Erfordernisse zu
versöhnen. So ist sie eher dem gleichfalls so ausserordent-
lich erfolgreichen Salomon Gessner zu vergleichen, dessen
Dichtungen sie bewunderte und mit dem sie korrespon-
dierte.©
Der Übergang vom Spätbarock zum Klassizismus wird in
der deutschen Kunstliteratur vorzugsweise durch ein neues
Verhältnis der Darstellung zur Bildfläche beschrieben:
während vorher diese als ornamentale Einheit erscheint,