hen in der Aufarbeitung der Kunst unseres östlichen
Nachbars, die, verspätet rezipiert, erst in den 70er-Jahren
erneut die verdiente Beachtung fand und im Wien-Boom
der 80er-Jahre gipfelte. Besonders nach den mehr kultur-
historischen Grossveranstaltungen in Wien («Traum und
Wirklichkeit: Wien 1870-1930»), Paris («Apocalypse
joyeuse: Vienne 1880-1938») und New York («Vienna
1900») in den Jahren 1985-1987 schien es ratsam, dass
die Museen ihre Aufmerksamkeit weniger dem kulturel-
ıen Phänomen als erneut vermehrt den Werken widmen.
Nicht mehr Illustration eines grossartigen Mentalitäts-
raumes, sondern Offenlegung autonomer bildnerischer
[ntensität war unser Ziel. Doch bereits im frühen Sta-
dium der Vorbereitungen erwies sich unser Vorhaben
einer umfassenden Retrospektive als schwer durch-
führbar. Der Hauptleihgeber hielt wegen des prekären
Zustandes vieler Bilder eine Einzelausstellung von Egon
Schiele für verfrüht. Herr Prof. Dr. Rudolf Leopold war
aber bereit, aus seinen Beständen 50 Werke des Künstlers
zu leihen (je zur Hälfte Gemälde und Arbeiten auf Pa-
pier) und diese zentrale Gruppe mit Werken der Zeit-
genossen des Künstlers zu erweitern. Und er war bereit,
diese Ausstellung (ungefähr ein Zehntel seiner gesamten
Sammlung) in unserem Hause zu initiieren, bevor sie auf
eine längere Tournee geht (Wien, München, London,
Wuppertal). Der Vorteil dieses Konzeptes bestand in der
Einbettung Schieles in seine Zeit und dadurch wurde
seine Einmaligkeit noch mehr gesteigert. Seine Zeitgenos-
sen, deren Namen, mit Ausnahme von Oskar Kokoschka
and Gustav Klimt (beide mit Hauptwerken vertreten),
wir kaum kennen, waren für viele eigentliche Überra-
schungen. Böckl, Kolig, Moser, Egger-Lienz und vor
allem der intensive Gerstl waren mit eindrücklichen Wer-
ken vertreten; sie bereicherten unsere Kenntnis und dif-
ferenzierten unser Bild von der Eigenständigkeit der
österreichischen Kunst, die dem Menschenbild und dem
Gegenstand viel länger verhaftet blieb als in anderen
Kunstzentren. Die Ausstellung versuchte dem Umstand
Rechnung zu tragen, dass relativ viele Künstler vertreten
waren und wollte die Voraussetzung dafür schaffen, dass
jedes Bild ideal in Wand und Licht präsentiert wurde.
Gleiche, mittelgrosse Räume gingen von einem zentra-
len Korridor ab, der sich durch die ganze Halle zog, mit
Stühlen der Wiener Werkstätten bestückt war und auf
50 m Distanz den Blick freigab auf den gelben «Sitzenden
Akt» (1910), dessen gequälte und luzid konstruierte Ex-
pressivität den Auftakt zum Hauptraum bildete, in dem
die Konfrontation der genial gezeichneten, dann der
frühen expressiv-malerischen Bildern und der späten, kurz
vor seinem frühen Tod unternommenen Versuche, Zeich:
nung und Malerei in grossformatigen Kompositionen
zu vermählen, den dramatischen Höhepunkt bildete.
AUSSTELLUNGEN IM GRAPHISCHEN KABINETT
Von Gessner bis Turner
Zeichnungen und Aquarelle 1750-1850
Im Rahmen der wissenschaftlichen Erschliessung unserer
Altmeisterzeichnungen wurden 71 Werke der europäischen
Kunst aus dem Zeitraum von 1750-1850 vorgestellt und in
sinem ausführlichen Katalog kommentiert.
Im Mittelpunkt stand das gewandelte Verhältnis zur
Natur, das sich einerseits in einer spezifisch zürcherischen
Naturauffassung (Detailrealismus, Idylle als Kritik an den
Herrschaftsstrukturen des Ancien Regime), andererseits
in den Landschaftszeichnungen und Portraitstudien der
Vorromantik zu erkennen gab (A. Zingg, R. Schellenberg,
K. Gessner, A: Graff, J.A. Koch, J.B. Oudry, J.E. Ridinger).
Die wetterleuchtenden Widersprüche an der Epochen-
schwelle entfalteten ihre ganze dramatische Wucht im
Klassizismus von Füssli und am Ende der beschriebenen
Zeit in der apokalyptischen Lichtvision von Turners
«Festtag ın Zürich».
Fritz Wotruba: Zeichnungen 1925-1950
Diese Ausstellung präsentierten wir im Rahmen der Juni-
Festwochen 1988, die dem Thema «Fluchtpunkt Zürich»
gewidmet waren. Im September 1938, nach Österreichs
Anschluss an das «Grossdeutsche Reich», landete Wotruba
in Zürich mit einem gefälschten Wehrausweis und einem
Vermögen von zehn Mark. Während der sieben Exiljahre