moralischer aber erscheint die Perfektionierung von wenigem
Erlesenen, das die Notwendigkeit des Gewöhnlichen ästhe-
tisch transzendiert und die materiellen Mittel des Besitzers
seinem Geschmack und damit seiner geistigen Beherr-
schung unterwirft. Diese wohl weniger auf einer asketi-
schen als auf einer humanistischen und im exakten Sinne
epikuräischen Basis beruhenden Haltung, die sich zugleich
besser in den Rahmen bürgerlicher Tradition und Menta-
lität fügt, findet sich wiederum im Biedermeier und in der
Reaktion des strengen Wiener Jugendstils auf die erdrük-
kende Überfülle der viktorianischen materiellen Kultur
und die ausufernden Umschlingungen des florealen
Jugendstils. Vom Bauhaus systematisiert, ist sie bis heute,
wenn auch banalisiert, weithin massgeblich geblieben.
Vor der hellen Wand, die rein und leer dem Erscheinen
des Lichtes dient, auf der faltenlosen Decke des Tisches, der
geometrisch präzis die Bildfläche teilt und die Raumtiefe
definiert, stehen oder liegen die sechs Gegenstände, auch
sie von geometrischen Grundformen bestimmt. Es sind
Dinge des Gebrauchs, weder ausgefallen in ihrer Gestalt
noch durch aufwendigen Dekor ausgezeichnet; vielmehr
wahren sie die Schlichtheit des Ursprungs ihrer Art. Was die
essentialistische Richtung der Postmoderne, etwa Aldo
Rossi, bewusst auf die Spitze treibt, scheint hier bereits
angestrebt: die Verbindung von reiner Form und spre-
chender Ausprägung des Typus. Die spezifischen Quali-
täten liegen in der Sicherheit der Proportionen, der Voll-
kommenheit der Ausführung, allenfalls in den edleren
Materialien. Für diesen Stilwillen ist die Wahl eines Römers
mit einem konischen statt dem üblicheren bauchigen
Oberteil charakteristisch: es ist die strengere und zugleich
die ursprünglicher anmutende Form, dem mittelalterli-
chen «Krautstrunk» noch näher; sie erfüllt das übergrosse
Format des Trinkgefässes mit innerer Monumentalität.
Die Kunstmittel diktieren, so viel dürfte durch die bishe-
rige Beschreibung klar geworden sein, den Bildinhalt: eine
stille kopernikanische Wende, der Überordnung des Den-
kens und der Methode über die Gegenstände bei Descartes
vergleichbar, der 1637 und damit vielleicht im gleichen
Jahr, in dem unser Stilleben in Haarlem entstand, im
unfernen Leyden seinen «Discours de la methode» ver-
öffentlichte. Nichts lässt sich so leicht und vollständig auf
seine ästhetische Wertigkeit reduzieren wie solche bereits
bewusst geformte alltägliche Geräte; der Verwendungs-
zweck prägt zwar ihre Form mit, doch er bleibt nur eine von
Zeit zu Zeit aktualisierte Latenz, während sie in ihrer Gestalt
stets ganz da sind. Dass der Becher waagrecht nicht Gefäss
sein kann, dass das Messer nichts zu schneiden hat, dass die
Halsuhr umgekehrt auf dem Speiseteller liegt, hebt ihre
profane Funktion selbst in der ästhetischen Entrücktheit
der Bildfiktion nochmals auf und macht vollends deutlich,
dass ihre raison d’&tre von künstlerischen Gesetzen be-
stimmt wird,
In Licht und Farbe, Form und Raum lassen sich hier die
Kunstmittel gliedern. Die Raumbühne besteht zunächst
aus der leeren Wand; ihre Tiefe ist vorerst unbestimmt und
bleibt es auch, wenn wir nicht annehmen, dass die Rück-
kante des Tisches an sie stösst. Ebenso wäre ihre Richtung
undefiniert, könnte sich der Maler nicht darauf verlassen,
dass das Auge des Betrachters automatisch die einfachste
[nterpretation wählt. Denn diese Fläche tendiert wie jede
andere dazu, mit ihrem Träger, hier also mit der Bildebene,
zusammenzufallen; jede Differenz muss mit illusionisti-
schen Mitteln erst erzeugt werden. Stellt man sich den
Tisch abgeräumt vor, dürfte die Energie dieser lebensprak-
tisch normalen Sehweise sogar so gross sein, dass die ein-
zige diagonale und damit tendenziell tiefenräumliche
Kante das Möbel nicht davor bewahren würde, primär als
ein dunkler Streifen mit einem grünlichen Trapez darüber
wahrgenommen zu werden: die Sorge der Modernen, die
dekorative Einheit der Bildfläche durch eine illusionisti-
sche Tiefe zu verlieren, scheint so schon von vornherein
gebannt. Der Römer setzt dem waagrechten Tisch einen
kraftvollen senkrechten Akzent entgegen; die Schrägen
seines Oberteiles antworten der diagonalen Tischkante
und entwerten ihren Tiefenzug.
Raumtiefe und Komposition werden hier vor allem
durch Form und Anordnung der Gegenstände bestimmt.
Durch ihre Strenge und Verknappung lassen sich ihre
Beziehungen wie bei Morandi als unterschiedliche modell-
hafte Situationen lesen. Als funktional gleichartig ver-
binden sich die beiden Trinkgefässe; als stehend und lie-
gend, als voll und leer, als durchsichtig und opak sind sie
gegeneinander gesetzt. Demgegenüber sind die beiden
Teller formal gleich, doch diese Gleichheit wird zur Diffe-
renzierung der Wahrnehmung eingesetzt: der vordere kragt