werke ersten Ranges im Original sah. «Diese köstlichen,
Geist und Sinn zur wahren Kunst vorbereitenden Erfah-
rungen wurden jedoch durch einen der traurigsten An-
blicke unterbrochen und gedämpft, durch den zerstörten
und verödeten Zustand so mancher Strassen Dresdens,
durch die ich meinen Weg nahm. Die Mohrenstrasse im
Schutt, sowie die Kreuzkirche mit ihrem geborstenen
Turm drückten sich mir tief ein und stehen noch wie ein
dunkler Fleck in meiner Einbildungskraft?.»
In unserem Zusammenhang tritt die besondere Pointe
dieser Beschreibung hervor: 1768 war der Turm längst
abgetragen, so dass in Goethes «Einbildungskraft» Bellot-
tos Gemälde? an die Stelle der gesehenen Realität getreten
sein muss. Und dies nicht von ungefähr, entzückte ihn
doch auf dieser Stufe seiner Geschmacksbildung vorzüg-
lich die täuschend echte Schilderung der Wirklichkeit,
«wo der Pinsel über die Natur den Sieg davon trug.» Lern-
te er nun, «die Natur ... mit den Augen dieses oder jenes
Künstlers zu sehen» und so eine Schusterwerkstatt als ein
Gemälde Ostades zu geniessen, um wieviel eher muss sich
ihm das Bild Bellottos als «Vorbild» und Erinnerungsbild
der Wirklichkeit eingeprägt haben. Nicht nur um des
wörtlichen Sinnes willen nannte er seinen Jahrzehnte spä-
ter geschriebenen Lebensbericht Dichtung und Wahrheit:
war er sich doch gerade durch seine Dresdener Erfahrun-
gen des Wechselspiels zwischen Wahrnehmung von Wirk-
lichkeit und deren erinnerungsmächtigen Verdichtung in
der künstlerischen Gestalt inne geworden.
Die geistige Aneignung des Sichtbaren geschieht vor-
zugsweise durch die Fixierung des Blickes, das Anhalten
des unaufhörlichen Stromes wirr eindringender Sinnes-
eindrücke, durch die Konzentration auf einen bestimm-
ten Aspekt, der nun in seinen Eigenarten analysiert und
erfasst werden kann. Die Bilder der Maler sind die gros-
sen Lehrmeister bei solch reflexivem Tun, denn in ihnen
ist nicht nur diese Stillegung bereits geleistet, sondern
durch die Methode ihrer Darstellungsweise zeigen sie
zugleich Möglichkeiten der Anschauung, des bewussten
Wahrnehmens von Wirklichkeiten auf. Überdies gelingt
as den bedeutendsten Künstlern, die unweigerlich entflie-
hende Lebensfülle der gegenwärtigen Wirklichkeit, ihre
Wärme und Helle, die Weite des Raumes und das Fliessen
der Zeit, die Spannung des sich bewegenden Körpers und
der vielfach gereizten Sinne durch die Wirkungsmacht
ihrer Gestaltung, die evokative Kraft ihres Vorstellungs-
vermögens in ein Analoges zu verwandeln und so für den
Betrachter dauernd festzuhalten. In unserem Gemälde
“ritt schliesslich noch die Einzigartigkeit des Gegenstan-
des dazu, den Bellotto in einer ungewöhnlichen und
unverbrauchten Komposition zu erfassen wusste, so dass
eine ebenso lebensvoll reichhaltige wie frappant unver-
wechselbare Bildprägung entstand. Man könnte diese
Qualität, die ein Bild schwer zu vergessen macht, Bild-
haftigkeit im genaueren Sinne oder auch - von «Ikone» -
[konizität nennen; das anschliessend zu betrachtende
Gemälde Amor und Psyche von Füssli besitzt sie gleichfalls
in hohem Masse.
Die künstlerische Tradition, deren kumulierten Erfah-
rungsschatz erst ein solches Resultat ermöglichte, ist
zunächst die Gattung der realistischen Stadtansicht, der
Vedute. Sieht man von ihrer Vorgeschichte ab, die man
mit van Eyck oder Campin, jedenfalls mit Gentile Bellini
sinsetzen lassen kann, so beginnt sie erst in der nieder-
'ändischen Fachmalerei des 17. Jahrhunderts, in der Berck-
heyde, Jan van der Heyden und Vermeer die wesentlichen
Gestaltungsmittel bereitstellten. Ihren Höhepunkt findet
sie sodann in der anderen grossen, künstlerisch aktiven
Republik, Venedig, bei Canaletto und dessen Neffe
Bellotto. Fasst man nun ihre Nachfolger, Guardi und
Romantiker wie Nehrly auf der einen Seite, andererseits
die nordischen Klassizisten oder Biedermeier-Maler wie
Gärtner oder Kgbke ins Auge, beginnt sich schon das Aus-
einandertreten des subjektiven Erlebens in der Malerei
ınd des technisch objektiven Registrierens in der Photo-
graphie abzuzeichnen, mit dem die Gattung an ihr Ende
gelangt. Nach barock dynamischen Frühwerken zeichnet
die reife, klassische Kunst Canalettos gerade die Einheit
dieser beiden Aspekte aus, die er anscheinend durch die
Rezeption gewisser Ideen aus Newtons Physik und Optik
srreichte*, So scheint das Konzept des «weisen» Lichtes,
das alle Farben in sich enthält, zu der klaren Helle und zur
Vorliebe für reine Spektralfarben geführt zu haben; in der
grossen, am Übergang vom frühen zum reifen Werk ste-
1enden Zürcher Vedute des Dogenpalastes lässt sich dies
in der fast milchigen Helligkeit und der Buntheit der
Sewänder bereits deutlich sehen. Für die Erfassung der