Volltext: Jahresbericht 1997 (1997)

konnte davon hier keine Rede sein. Man kannte sich, 
«des relations de boulevard qui avaient les apparences 
de la cordialit&» (Tabarant), man titulierte sich «cher 
Wolff» — «cher Manet», aber Wolffs Kritiken im Figaro 
vermischten «geistreich» zweideutig Positives über die 
Begabung mit meist ziemlich vernichtenden Bemerkun- 
gen über die Ausführung und die ausgestellten Werke, 
während Manet gegenüber seinen Freunden seiner Ver- 
achtung Wolffs freien Lauf liess. 
Trotzdem bemühte sich der Maler 1877, den einfluss- 
reichen Journalisten für die Sache der modernen Kunst 
zu gewinnen. Am 19. April schrieb er ihm einen kurzen 
Brief, in dem er ihm eine Ausstellung der Impressio- 
nisten und die anschliessende Versteigerung empfahl: 
«... Vielleicht lieben Sie diese Malerei noch nicht, doch 
Sie werden sie lieben. Unterdessen wäre es sehr liebens- 
würdig von Ihnen, wenn sie im «Figaro» ein wenig dar- 
über sprechen wollten. ...» Stattdessen schrieb Wolff im 
Mai über das Portrait von Faure als Hamlet, das der 
Tenor übrigens refüsierte und sich stattdessen von Bol- 
dini portraitieren liess, dass die Administration des 
Salons Manet mit der schlechten Hängung einen Dienst 
erwiesen habe: auf Distanz würde das Bild noch etwas 
Effekt machen, aus der Nähe besehen, müsste man dem 
Künstler vorwerfen, er male wie ein Dekorateur. Seine 
Originalität sei zwar sehr umstritten, aber sehr kraftvoll; 
nun aber scheine er über seine Kunst unsicher zu 
werden. 
Im Sommer schlug Manet dem Kritiker vor, ein 
Bildnis von ihm zu malen. Die Portraitsitzungen be- 
gannen, und, wie Theodore Duret bemerkte, Wolff hätte 
mit dem Bild eigentlich sehr zufrieden sein sollen, denn 
es erhöhte seine allgemein bekannte Hässlichkeit zu 
etwas Stilvollem, Poetischem. Nachdem es soweit ge- 
diehen, wie wir es heute kennen, schrieb ihm Manet, er 
möge das nächste Mal sein blaues Veston mit Samtrevers 
und kastanienbraune Hosen anziehen; das würde einen 
heiteren Ton geben. Es sind Farben, die Manet damals 
besonders liebte, und man kann sich gut vorstellen, wie 
sehr das Gemälde an Attraktivität gewonnen hätte - man 
müsste es heute wohl in einem amerikanischen Museum 
bewundern. Seit Paul Pfister aber den späteren Firnis 
entfernt und die Differenzierung zwischen den silbrig 
kühlen Tönen des schwarzen Anzuges und den bräun- 
lichen Farben des Hintergrundes wieder zum Vorschein 
brachte, dürfte mancher Kenner gerade diese subtile 
Harmonie dem bunten Effekt vorziehen. Dass sie er- 
halten blieb, verdankt man Wolff, der auf Manets Bitte 
mit folgendem Billet antwortete: «Mon cher Manet, 
Cette abominable chaleur m’a flanque une migraine 
atroce. Il m’est tout a fait impossible de poser. Remet- 
tons la fete a mardi. Bien a vous...». Dienstag kam, doch 
Wolff blieb weg. 
Mit dem Abbruch der Portraitsitzungen hatte sich 
Wolff noch ein weiteres Verdienst erworben: für den 
modernen Geschmack ist gerade der skizzenhafte, un- 
fertige Zustand des Gemäldes besonders reizvoll. Der 
Ausführungsgrad des Gesichtes lässt nichts zu wünschen 
übrig; alles ist hinreichend definiert und lässt die Züge 
doch atmen; im Bereich der Büste sind die Hauptlinien 
mit Grosszügigkeit und Sicherheit hingesetzt; die 
lockeren Partien bei den Händen lassen an Frans Hals 
denken und evozieren die spontane Lebendigkeit, die so 
vielen totgemalten Bildern jener Zeit abgeht. In seiner 
nächsten Behandlung von Gemälden Manets am Salon 
hob Wolff gerade diese Fähigkeit als das Besondere an 
dessen Temperament hervor: «Le premier jet de son 
xuvre est toujours d’une justesse surprenante.» Offen- 
sichtlich profitierte er hier von seinen Einsichten im 
Atelier und liess immerhin ein geschärftes ästhetisches 
Urteilsvermögen erkennen. Denn die übliche Kritik 
wollte in solchen freien Pinselzügen nur ein wirres 
Gekritzel oder Geschmier sehen und vermisste lautstark 
Zeichnung und Modellierung. Wolff hingegen wirft 
Manet nun originellerweise gerade das Gegenteil vor: 
er mache mit der weiter getriebenen Ausführung in 
seinen grossen Kompositionen Konzessionen an den 
Geschmack der Jury des Salons. Der naive Betrachter 
könnte meinen, diese Bilder wären in einer Stunde hin- 
geworfen, vielmehr seien sie in langwieriger Arbeit, die 
Manet durchaus nicht liege, entstanden. 
Damit wird ein interessanter Aspekt angesprochen, 
den die Künstler seit der Ausbildung der «modernite» 
viel beschäftigte. «Il faut &tre de son temps» führt in 
letzter Konsequenz zur Forderung nach dem spontanen 
Erfassen des Augenblickes, dem Erhaschen der Leben-
	        
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