ALEXAND RE HOLLAN
Alexand re H ollan ist in Ungarn auf dem Land und in
der Hauptstadt Bud apest aufgew achsen . Da er nicht
aus Arbei terverhält ni s sen stammt, sind seiner Lauf-
bahn als Künstler von Anfang an Grenzen gesetzt. Im
Jahr 1956 verlässt er mit 23 Jahren seine Heimat und
fin det eine neue in Paris, wo er an der Kunstakademie
zugelassen wird und an der Ecole Nationale Supérieure
des Arts Décoratifs ein vierjähriges Studium absolviert.
Von 1963 bis 1978 reist er mit seinem Renault 4L, den
er zum «atelier roulant» umbaut, kreuz und quer durch
die französische Lan dschaft auf der Suche nach einem
Ort, der seinen künstlerischen Intentionen en tspri cht.
In diesen fünfzehn Jahren stellt Hollan nicht aus. Er
entdeckt die Malerei von Rothko, Kline und Morandi,
die für die Entwicklung seiner Malerei und Zeichnung
ausschlaggebend werden. Im Jahr 1984 kauft H ollan
ein kleines Landhaus im Hé rault, im Südwesten Frank-
re ichs, wo er seitdem jeden S ommer mehrere Monate
verbringt. Im Winter arbei tet er in seinem P ariser
Atelier. Dieser zweitaktige Lebensrhythmus prägt auch
sein Werk, das fast aus schli esslich aus Arbeiten auf
Papier besteh t. In Paris malt und zeichnet er meist
farbige Stilleben, für die er, ausgehend vom holländi-
schen und deutschen Begriff, den Titel vie silencieuse
verwendet. In Südfrankreich entstehen dagegen die
meist schwarz en Zeichnungen nach ausgewählten, frei
wachsen den Bäumen in der Landschaft. Seit 1985
tauscht er seine Erfahrun gen mit dem Schriftsteller
und Lyriker Yves Bonnefoy , der auch die aufschluss-
reichsten Texte über den Künstler geschr ieben hat.
«Die Bäume sind meine Lehrer.» Hollan, der schon
früh began n, seine Überle gunge n in knappen, präzi sen
Sätz en zu formulieren, we iss, was er di esen sti llen und
ausdauer nd en Widerstandskämpfern der süd franz ösi-
schen Garrigue verdankt. «Der Baum spri cht an. Er
spri cht eine u ralte Sprache, eine andere als die mensch-
li che. Er übertr ägt eine elementare Bewegung. Er
löscht das allzu Bekannte aus.» Aber: «Der Baum ist
unsichtbar», denn das Erscheinungsbild trü gt, es fesselt
den Blick an die Form, z erfällt in eine Vi elfalt von De-
tails, während der Blick seinerseits sich von der Bewe-
gung lei cht verführ en läs st, schne ll ermüdet und sich
im leeren Raum verliert. Die Tore zum unmittelbaren
Erkennen des Sichtbaren sind verriegelt, es gilt eine
Hintertüre ausfindig zu machen, um das Phän omen in
sein er ganzen Komplexität zu erreichen und selbs t für
di eses erreichbar zu werden. Ho llans «Methode»
gründet auf einfachen T echniken des V erhaltens und
des Sehens, die er sich im Kontakt mit seinen Lehrern,
den Bäume n, den alten Meistern der Lan dschaftsmale-
rei, der Mystik und der Philosophie westlicher und
östli cher Provenienz durch jahrelanges Studium ange-
wöhnt hat. Mit zunehmender Meisterschaft, und diese
hat H ollan in sei nen grossen Kohlezeichnungen zwei-
fello s erworben, ordnen sich auch die Gedanken zu
einer lockeren Sammlun g von Grun dsätz en über den
ei ng eschlagen en Weg.
Erste Etappe: «Schn ell sehen , gross sehe n.» H ollan
kehrt stets zu den gleichen Bäumen zurück. Alte,
wetterbestandene Ei chen eignen sich für diese Übung,
weil sich der Lebenswille des Baumes durch Bewe-
gungsverläufe mitteilt, die bald in die sichtbare Form
einmünden, bald über sie hinausführen. Es gilt, sich
di esen Bewegungen ganz zu überlassen, was durch kein
Medium besser gelingt als durch das Zeichnen. H ollan
gewöhnt sich an das Arbei ten in Serien. Durch
Wiederholung entstehen in ein bis zwei Stunden fünf-
zehn bis dreissig Skizzen, mit Pinsel aufgezeichnete
Impressionen von Lebenslinien eines Baumes, die
entfernt an die kalligraphischen Zeichen eines Zen-
Meisters erinnern.
Zweite Etappe: «Be obachten , Zeichnen, Weglas-
sen.» Der Blick wendet sich wieder der Form zu,
vermeidet das Austrocknen in der Abstrak ti on eben so
wie das distanzierte, isolierende Beobachten von
aussen. Als T echn ik empfiehlt sich das Arbeiten mit 79