Volltext: Jahresbericht 2001 (2001)

dem breiten Pinsel oder auch mit dem K ohlesti ft. Für 
ein solche s «lavis», wie H ollan die Pinselzeichnungen 
nennt, benötigt er zehn bis dreissig Minuten. Die 
rhythmischen Bewegungen der Linienverläufe bün- 
deln und überlage rn sich, gerinnen zu pulsierenden 
Fleckengebilden oder verdichten sich zu einem vibri e- 
renden Netz. Das U mfeld des B aumes – Büsche, Wol- 
ken, der V ordergrund – verschmi lzt zu einer offe nen 
Form, die auch die Zwischenräume aktiviert. Die Dis- 
tanz zum Betrachter ist au fgehobe n, spannungsreiche 
Kontraste beleben die Zeichnung an den Übergän gen 
von Form und Raum, von sich kreuzenden Linien, von 
Materie und Li cht. Auf das Gestalt hafte des kreativen 
Impulses reagiert der Kün stler mit Namen wie Le 
Glorieux, L’Ancien, Le Gardien d’en haut und Le petit 
Poussin. 
Dritte Etappe: «Aber die Aufmerksamkeit kann sich 
vom Baum auch ablösen, bis dieser in der Landschaft 
verschwindet: dann bew egt sich der Hintergrund lang- 
sam auf uns zu… in nächt lich dunklen Tönen, um- 
fängt den Baum, hält ihn fest.» Die Kunst der Lang- 
samkei t erweist sich für Hollan als die gehei me Hinter- 
tür, durch die wir Anteil ne hmen können am Drama 
der Formwerdung. In den 199 0er Jahren beginnt er 
mit der Serie der grossen Kohlezeichnungen nach 
einem alten O live nbaum, der sich unweit seines 
Hauses befindet (vgl. Abb. 9). Abend für Abend kehrt 
er an denselben Ort zurü ck, um weiterzuarbeiten. Das 
Zeichnen in grossen Zeiträumen – eine Jahreszeit, 
mehrere Monate, fünfzig Stunden oder mehr für jedes 
Blatt – erfordert eine ganz andere Haltu ng. Etappen- 
weise werden die Energien des Baume s verwandelt, der 
Blick defokalisert, das Blickfeld erweitert und aktiviert, 
bis sich die alten Spannungen und Abhängigkeiten 
vollstän di g aufgelöst haben . Oft radi ert H ollan das 
T agwe rk des V oraben ds aus und beginnt von ne uem. 
Nach unzähligen V ersuche n weist das Papier erste An- 
zeichen einer räumli chen Präsenz auf. Die Form 
schei nt aus dem Raum zu quelle n, stellenweise eruptiv 
wie feiner Staub aus einem V ulkan , an anderen Stellen 
träge und flüssig wie Lava. Der alte Widerspruch zwi- 
schen der Geburt einer neuen Form und der schieren 
Übermacht des Raumes scheint gebann t. H ollan ist 
sich der Schwierigkeit seines Unternehmens bewusst; 
er trennt sich nur ungern von solche n Arbeiten. Oft 
wird er vor dem Olivenbaum sitzend vom Ei nbruch 
der Nacht überrascht . Spürbar dehnt sich die Präsenz 
des Raumes aus, als ein Nichts, aus dem jederzeit 
Etwas hervorgehen kann. Bernhard 
von W aldkirch 
Zitierte Literatur: Bonnefoy , Yves: La j ournée d’Alexandre Hollan, 
Cogna c: Le temps qu’il fait, 1995. – Hollan, Alexandre: Le chemin des 
arbres, Musées de Sens, 1995. – Hollan, Alexandre: Je suis ce que je vois. 
Notes sur la peinture et le dessin 1975– 1997, Cognac: Le temps qu’il 
fait, 1997. – A l’écoute du visible. Mora ndi – Hollan, Ausstellungskata- 
log Musée Jenisch, Vevey, 2001. 80
	        
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