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Trophäen heimgebrachten e xotischen Pflanz en und
Tiere (und selbst Menschen) zu Sujets der höfischen
Kuns t. Zoologisches Interesse, Faszination für das
Exotische, aber auch ein gewisses zwiespältiges Un-
behagen gegenüber dem unheimlichen Fremden ver-
schachte ln sich demnach auch hier in der Motivwahl.
Einzigart ig wie das Thema ist die präzis e Kom po-
sition: Die ganze untere Hälfte füllt die schlafende
Raubkatze; in Bildfläche und Raum sorgfältig aufein-
ander abgestimmte diagonal e V erschiebungen verbin-
den sie mit dem umso alerter wirkenden stehenden
Jungtie r . Effektvoll hebt das Schlaglicht die Bewohner
der Wildnis aus dem geheimnisvollen Dunkel; die Pfote
unten rechts reckt sich dank des Schattens il lusionis-
tisch dem Betrachter entgegen. Vornehmlich aber fes-
selt der direkte Blick der funkelnden Augen des jungen
Ja guars: rot leuchten sie aus dem schwarzen Raum-
dunkel – quasi aus dem Hinterhalt der am w enigsten
betonten Stelle des Bildr e chtecks. So schlagend die
Ko mposition ist, so ungewöhnlich ist sie für ein Tier-
bild. In der Tat scheint sie viel eher von einer ganz
anderen Bildtradition bestimmt. Haben wir es hier mit
dem Surr ogat einer in der holländischen Malerei ver-
kümmerten Bil d gattung zu tun? Denn derart bildfül-
lend im V ordergrund lässig hingeräkelt präsentieren
sich seit der italienischen Malerei des ausgehenden 15.
Jahrhunderts mit Vorliebe die Göttin der Liebe sowie
andere, gern als liegende Akte vor einer poetis chen
Landschaft dargestellte Protagonistinnen der m ythol o-
gisc hen T radition. Erinnert das anzüglich im Dämmer-
schlaf, mit halbgeöffneten Mund und t ändelndem Arm,
hingestreckte Mutter tier nicht an die von einem necki-
schen Eros u mtänzelte Da nae, wie sie uns in den klas-
sis chen Formulierungen des Themas durch Tizian
bege gnet (Muse o di Capodimonte, Nea pel)? Denn wir
werden wohl in dem Bild nicht mehr, wie ein Kom men-
tar des 19. J ahrhunderts , «Zwei Jaguars nach dem
Kampf, einer tot hingest r eckt» erk ennen.
Die A nmutung der Darstellung spric ht dafür, dass
der Maler den Sinngeha lt seines Bildes , das heisst die
al l egorische Bedeutung der Tierf igur, ganz intuiti v
unter Rückgriff auf eine zwe itaus end Jahre alte euro-
päische T radition artikulierte . Der J aguar selbst ist
zwar zum Zeitpunkt s eines erstmaligen Auftauchens
in Eur opa sem antisch natürlich noch völlig unbe-
stimmt. Doch, wie in solchen Fällen üblic h, scheint der
Künstler die plötzlich auftretende Bedeutungs lüc k e
per As s oziation mit dem phänomenologisch nächsten
bereits bekannten Gattungsverwandten der panthera
onca zu füllen, nämlich dem Leoparden, panthera par-
dus. Und mit den Raubka tzen der Alten Welt, Löwen,
T igern, Leoparden und L uchs, verknüpft sich ein rei-
cher T radit ions schatz, der ihnen Charaktereigenschaf-
ten, V erhaltenweisen und damit ihrer künstlerischen
Darstellung eine entsprechende al l egorische Bedeu-
tung zuweist. Wenn mithin Cuyp die exotische Gross-
katze als ruhende Venus oder soi disant als gefährlich-
verführ erische Odaliske porträtiert, bewegt er sich
damit in Einklang mit einer alten Überlieferung. Nicht
umso nst ist der Leopard traditionelle Staffa ge im
Gefolge des Dionys os. Aristoteles beh auptete dann,
den Mythos rationalisierend, als erster die weibliche
Natur des Leoparden. Er begründet damit eine T radi-
tion, die den gefleckten Panther zur femme fa tale, dem
Vamp des Tierreichs erklärt: schön, geschmeidig, ver-
führerisch und elegant, aber leider bedrohlich, weil im
Charak ter gründlic hs t verdorben, diebisch, verlogen
und fa lsch. Ganz im Gegensatz eben zum «mä nnli-
chen» Löwen, welcher einer unerschöpflich reichen,
nicht nur abe nd l ändischen Tradition als Inbegriff des
grossmütigen, aufrichtigen, tapferen und gerechten
Wesens dient. Bis ins 19. Jahrhundert hallt die
geschlechtsspezifisch diffamierende Beschreibung
nach. Noch Brehm findet beim P anther das «geistige
Wesen mit der Leibesschöne nicht in Einklang»: «Man
braucht bloss das Gesicht eines Leoparden anzuse -
hen: die F al schheit und Hinterlist spric ht ihm aus den
Augen.»
Den J aguar selbst hat heute wohl die Ikonologie
der industriellen Mas senk ultur nach ihren V orstellun-
gen definiert. Gefährlich, riska nt aber elegant, geduckt
und sprungbereit, leise und auf samtenen Pfo ten, sanft
aber voller Kraft – so etwas wünschte sich William
Lyons 1935 für den neuen Namen s einer starken aber aber