115
den Beweis verzichten, statt dessen möchte ich bei „Schacko" auf
den Aufbau hinweisen, auf das abstrakte Gesetz in der Komposition.
Ich selbst habe die Geschichte des Schacko von einer Frau erzählen
hören, Wort für Wort - die ganze Dichtung -, und habe auch
das arme Tierche dabei gesehen. Durch das Schicksal dieser Frau
war ich geröhrt, die ihren über alles geliebten Mann verloren hat,
und nun dieses abscheuliche Tier, welches sie wie die Sunde haßt,
als einzige Erinnerung an ihren Mann besitzt. Sie liebt ihren Mann
weiter in dem gehaßten Tiere, das brachte mir den Stoff menschlich
näher; aber es war so noch durchaus kein Kunstwerk. Zum Kunst
werk wurde die Angelegenheit erst durch die Form: wie die
Aussagen der Frau einander gegenübergestellt sind, wie sie sich
wiederholen, einander ergänzen, wie sie vorwegnehmen oder be
stätigen, wie sie in ihrer Gesamtheit zusammenstehen, um immer
deutlicher die Liebe der Frau zu ihrem Manne, einen abstrakten
Begriff, und ihre Verzweiflung, wiederum einen abstrakten
Begriff, immer klarer werden zu lassen, und das ist der Inhalt
dieser Dichtung. Sie können in dieser Weise alle meine Dichtungen
analysieren, und Sie werden mir zugeben, daß in diesem Sinne ihre
Form immer abstrakt ist: Aussagen sind gewertet.
Auch in der Malerei verwende ich für die Komposition gern die
Brocken des täglichen Abfalls, etwa wie der Schacko aufgebaut
ist aus den Reden seiner Besitzerin. So entstanden meine Merz
bilder, und so entstand besonders meine große Säule. - Ja, was
ist die Säule? Sie ist zunächst nur eine von vielen, etwa von zehn.
Sie heißt Kathedrale des erotischen Elends, oder abgekürzt
K d e E, wir leben in der Zeit der Abkürzungen. Außerdem ist sie
unfertig, und zwar aus Prinzip. Sie wächst etwa nach dem Prinzip
der Großstadt, irgendwo soll wieder ein Haus gebaut werden, und
das Bauamt muß Zusehen, daß das neue Haus nicht das ganze Stadt
bild verpatzt. So finde ich irgend einen Gegenstand, weiß, daß er
an die KdeE gehört, nehme ihn mit, klebe ihn an, verkleistere ihn,
bemale ihn im Rhythmus der Gesamtwirkung, und eines Tages stellt
es sich heraus, daß irgend eine neue Richtung geschaffen werden
muß, die ganz oder teilweise über die Leiche des Gegenstandes
hinweg geht. Dadurch bleiben überall Dinge, die ganz oder teil
weise überschnitten sind, als deutliches Zeichen ihrer Entwertung als
eigene Einheit. Durch das Wachsen der Rippen entstehen Täler,
Vertiefungen, Grotten, die dann innerhalb des Ganzen wieder ihr
Eigenleben führen. Indem sich kreuzende Richtungslinien durch Flächen
miteinander verbunden werden, entstehen schraubenartig gewundene
Formen. Das Ganze ist übergossen mit einem System von Kuben
strengster geometrischer Form, über verbogene oder aufgelöste Formen,
bis zur völligen Auflösung. Der Name K d e E ist nur eine Bezeichnung.
Er trifft von Inhalt nichts oder wenig, aber dieses Los teilt er
mit allen Bezeichnungen, z. B. ist Düsseldorf kein Dorf mehr, und
Schopenhauer ist kein Säufer. Man könnte sagen die KdeE ist
die Gestaltung aller Dinge, mit einigen Ausnahmen, die in meinem
Leben der letzten sieben Jahre entweder wichtig oder unwichtig
waren zu reiner Form; in die sich aber eine gewisse litterarische Form
eingeschlichen hat. Sie hat 372 zu 2 zu 1 Raummeter und hatte
einmal eine großangelegte elektrische Beleuchtung, die aber durch
Kurzschluß im Inneren zerstört worden ist. Statt dessen stehen jetzt
überall die Baulichter, das sind kleine Weihnachtskerzen, die beim
Ausbau und Anstrich zum Ausleuchten der Winkel benutzt sind; sie
gehören aber nicht eigentlich zur Komposition; wenn sie aber brennen,
geben sie dem Ganzen den Eindruck eines unwirklichen, illuminierten
Weihnachtsbaumes. Alle Grotten sind durch irgend welche haupt
sächlichen Bestandteile charakterisiert. Da gibt es den Nibelungen
hort mit dem glänzenden Schatz, den Kyffhäuser mit dem steinernen
Tisch, die Göthegrotte mit einem Bein Göthes als Reliquie und den
vielen fast zu Ende gedichteten Bleistiften, die versunkene Personal
unionstadt Braunschweig - Lüneburg mit Häusern aus Weimar von
Feininger, Persilreklame und dem von mir entworfenen Zeichen der
Stadt Karlsruhe, die Lustmordhöhle mit dem arg verstümmelten
Leichnam eines bedauernswerten jungen Mädchens, mit Tomaten
gefärbt, und reichlichen Weihgeschenken, das Ruhrgebiet mit echter
Braunkohle und echtem Gaskoks, die Kunstausstellung mit Gemälden
und Plastiken von Michel-Angelo und mir, deren einziger Besucher
ein Hund mit Schleppe ist, den Hundezwinger mit Abort und mit dem
roten Hunde, die Orgel, die linksrum gedreht werden muß, damit
sie „Stille Nacht, heilige Nacht" spielt, früher spielte sie „Ihr Kinderlein
kommet", den 10%tigen Kriegsbeschädigten mitTochter, der keinen
Kopf mehr hat, sich aber noch gut hält, die Monna Hausmann,
bestehend aus einer Abbildung der Monna Lisa mit überklebtem Gesicht