Volltext: Zeit-Echo (3(1917), 1. und 2. Juniheft)

16 
noch nicht einmal buchstabieren konnten und gleichwohl mit vorzüglichen 
Noten traktiert wurden, nur weil sie jüdische Geschichte, historischen 
Schwefel phrasenreich wiedergeben konnten — hie und da schwamm in 
die Sprechstunde des darob brillantinebeglückten Professors ein edel- 
steinbehangenes, seidenrauschendes Häufchen Gänseschmalz, die Frau 
Kommerzialrat. 
Ein übler „Trost“: Ich sah, auch anderen Religionen waren Pedanten, 
Schwindler, Gaukler, nicht gesalbte, doch salbungsvolle Scheinheilige als 
Priester beschieden. Den Zusammenhang des synagogalen Wunders zu 
erkennen, blieb mir nicht erspart. Die Ernennung der Gegenstände meines 
schmerzlichen Ärgers und karikaturistischen Vergnügens geschah nicht 
ohne Einflußnahme jenes geschäftetriefenden Konsortiums „kaiserlicher 
Räte“, das in gewissen Kultusgemeinden zu herrschen pflegt. 
So wurde der Assimilant, der Vollblutaffe mit Monokel und eisernem 
Kreuz, gezüchtet, das Protzensöhnchen, das früh anhob mit den Worten 
„Gestern hab ich den ganzen Nietzsche geschenkt gekriegt“ oder „Mein 
Vater ist Sammler; er hat sechstausend Spazierstöcke“, enden wird nach 
unglücklichem Feldzug, am Pogromtag unter dem losgelassen „Dö Juden 
san schuld“ brüllenden Volk. 
Trotzdem: Exzessiver Zionismus ist für mich nicht der Weg zur Er 
füllung. Ein jüdischer Nationalpark, ein Indianerterritorium, eine Reser 
vation, in der statt wilder Bisons gemäßigte Israeliten verwahrt werden, 
etwa unter der milden Herrschaft eines mittlerweile zum Dschingiscohn 
avancierten kaiserlichen Rats und Großrabbiners — das wäre Flucht, 
Flucht ins Herbarium. Und neue freiwillige Kasernierung, Uniformierung 
des Judentums. Die blutige Polemik zwischen den beiden mehr und 
weniger demokratisch geschminkten Warenhäusertrusts und Plutokratien 
könnte gezeigt haben, wohin der Mißbrauch nationalen Gefühls und des 
Besitztriebs führen mußte. Ein Altersheim für dem Antisemitismus Wei 
chende, weite Siedelungsgebiete für Vertriebene pogromliebender Horden, 
dies ist denkbar, mußte es sein. Aber den Juden asiatisch zu neutralisieren, 
hieße, wichtigste Blutkörper, adlerstarken Sprengstoff der europäischen 
Menschheit entziehen. Es gibt eine höhere Dienstpflicht als die allgemeine, 
nationale, konfessionelle, wirtschaftliche. Das Reich Gottes auf Erden wird 
nicht dadurch näher gebracht, daß sich eines der wenigen gotttragenden 
Völker „selbständig“ macht, in engstem Weltbezirk wie die anderen Völker 
commis etabliert, sich lokalisiert. 
Man jammere nicht allzusehr über die Diaspora! In welcher entsetz
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.