So sind auf deutscher Grundlage italienische und
westliche Einflüsse tätig gewesen, um die Kunst Oester-
reichs zu formen. Man würde aber sehr irren, wenn man
glaubte, daß die Kunst unseres Landes eine Art Mischkunst
wäre, in der alle diese Einflüsse offen zutage treten. Von
einer sehr großen Entfernung aus betrachtet, bildet die
europäische Kunst eine Einheit. Verlegt man den Beob-
achtungspunkt näher, so erkennt man natürlich die ein-
zelnen Kunstkreise. Keiner dieser Kreise ist von dem
anderen unabhängig, die Beziehungen gehen fortwährend
hin und her. Der Prüfstein ist, ob diese Einflüsse zu einer
neuen und selbständigen Einheit verarbeitet werden. Hie-
durch allein unterscheiden sich die schöpferischen von den
nachschaffenden Völkern.
In allen ihren schöpferischen Epochen hat die öster-
reichische Kunst sich einen durchaus originellen Stil ge-
bildet, der auch von dem nächstverwandten, wie etwa
dem des süddeutschen Kunstkreises, sich sofort deutlich
unterscheiden läßt, welche immer auch die dabei tätigen
Einflüsse sein mögen.
UVeberblickt man eine geschlossene Entwicklung von
fast 1200 Jahren, die durch so viele und oft einander
fast entgegengesetzte Stilphasen führt, bedenkt man, wie
verwandt die west- und mitteleuropäischen Völker von
einer etwas höheren Warte aus gesehen sind und denkt
man an die unendliche Mannigfaltigkeit des Lebens,
die, kaum glaubt man ein Gemeinsames zu finden,
sofort hundert Ausnahmen uns warnend vor Augen
rückt, so erscheint es vermessen, den Begriff einer natio-
nalen Kunst kurz erläutern zu wollen. Nur auf eines
möchte ich hinweisen. Es scheint mir, daß eine lyrische
Grundnote für die Kunst Oesterreichs durch die Jahr-
hunderte hin besonders charakteristisch ist. Freilich gilt
auch dies mehr für das Donautal und Wien. In der Eın-
samkeit unserer Alpentäler, in den Schatten der Berge
und Firnen werden auch dramatische Töne angeschlagen,
allein sie bilden selbst dort nicht die Regel.
Oesterreichs Erde ist alter Kunstboden, aus dem eine
sehr bedeutende prähistorische Kunst ausgegraben wurde,
auch eine interessante römische Provinzialkunst hat sich
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