Emmy Hennings, Brief an Reinhold Rudolf Junghanns, 1916

Zur Eröffnung des Cabaret Voltaire richteten die Dadaisten einen Aufruf «an die junge Künstlerschaft Zürichs, sich ohne Rücksicht auf eine besondere Kunstrichtung mit Vorschlägen und Beiträgen einzufinden» (Neue Zürcher Zeitung, Züricher Post). In der gleichen Absicht, für das Cabaret Künstler/-innen zu interessieren und von ihnen Zusendungen zu erhalten, schrieb Emmy Hennings Ende Januar, anfangs Februar 1916 diesen Brief an ihren Künstlerkollegen Reinhold Rudolf Junghanns in München. Hennings lernte Junghanns 1911 in München kennen und stand ihm bis 1914 Modell. Vermutlich wurde die im Brief erwähnte Mappe nicht ausgestellt. In der Mappe Variationen über ein weibliches Thema (1913) veröffentlichte der Kurt Wolff Verlag die zum Teil erschütternden Porträtzeichnungen des «emsimodell». Die Kunstkritik sprach von Studien einer hysterischen Frau, in welcher der Künstler erbarmungslos ihre Anfälle und Perversität wiedergebe. Für Junghanns selber war Hennings ein «‘phantastisches Model‘ im reinsten Sinne des Wortes, alles andere nur nicht artig, aber ausserordentlich anregend.» Er zeichnete auch die Tänzerinnen Mary Wigman und Clotilde von Derp, die beide Kontakte zu den Dadaisten hatten. Hennings‘ im Brief geäusserter Wunsch nach einer Puppe von Lotte Pritzel, ihr ebenfalls aus dem Münchner Bohème-Kreis bekannt, lag nahe, fertigte sie selbst schliesslich auch Puppen an (abgebildet in Cabaret Voltaire), die sie an Dada-Veranstaltungen inszenierte.

Der handschriftliche Zusatz am Briefende ist ein Lob auf die Schreibmaschine: «Es macht mir Spass zu schreiben, weil es so schnell geht.» Schnelligkeit und Flüchtigkeit des Maschinenschreibens zeigen sich auch in einem von Hennings getippten Gedichtheft von 1916: Nicht jeder Anschlag sitzt, Buchstaben hüpfen und der Papiereinzug offenbart seine Tücken. Das neue technische Hilfsmittel beflügelte Hugo Ball zum bildlich gestalteten Gedicht Piffalamozza und Christian Schad in Genf zum Schreibmaschinenbild Porträt Dada Walter Serner. Bedeutung und Besonderheit der Schreibmaschine werden sinnfällig, wenn man sich die Flucht von Ball und Hennings nach ihren Schwierigkeiten in der Galerie Dada vorstellt: Ins hinterste Maggiatal wurden sie dabei vom Schriftsteller Friedrich Glauser begleitet, der auf einer hölzernen Traghotte mit Weidezweigen als Riemen vier Stunden lang nicht nur den Koffer, sondern auch die Schreibmaschine auf dem Rücken trug.

Typoskript mit handschriftlichem Zusatz in Bleistift von Emmy Hennings: «lieber Junghans [sic], ich hab in meinem Zimmer eine Schreibmaschine, und es macht mir Spass zu schreiben, weil es so schnell geht. Deine emmy hennings». Provenienz: Das Typoskript gehört zum Konvolut «Reinhold Rudolf Junghanns», welches das Kunsthaus Zürich 1985 von Irma Thaler, Zürich, aus dem Junghanns-Nachlass erwerben konnte.


→ Emmy Hennings, Gedichte, DADA II:1
Cabaret Voltaire, DADA III:37