Viking Eggeling, Komposition (Basse générale de la peinture. Extension), o. J. (1918/1919)

Die Schweiz war Viking Eggeling bereits vertraut, als er 1917 nach Zürich kam. Er hatte sich zuvor in Ascona und Genf aufgehalten und ein Jahrzehnt früher war der Schwede im Hochalpinen Lyceum, Zuoz Zeichen- und Schlittschuhlehrer gewesen. Während der Dada-Zeit sollte er der Kunstwelt durch seine kühnen Abstraktionen noch weitreichendere Lektionen erteilen. Nur zögerlich näherte sich Eggeling dem Dada-Kreis. Sein ernsthafter, eher schwermütiger Charakter und der grosse Altersunterschied zu Jungspunden wie Tristan Tzara und Marcel Janco müssen dafür ausschlaggebend gewesen sein. Tzara und nicht Hans Arp, den er aus seiner Zeit in Paris kannte, machte ihn 1918 mit dem Künstler Hans Richter bekannt. «Ich traf einen stämmigen, mittelgrossen Mann mit Adlernase und blitzblauen Wikinger-Augen. Eggeling zeigte mir eine Zeichnung. Es war, als ob mir jemand die sibyllinischen Bücher aufgeschlagen hätte. Ich ‚verstand‘ auf der Stelle, worum es ging» (Richter). Ebenso wie Richter entwickelte auch Eggeling sein künstlerisches Schaffen über die Musik. Richter orientierte sich am Prinzip des Kontrapunkts, Eggeling beschäftigte sich speziell mit der Orchestrierung und Rhythmisierung der Linie. Diese «Musikalisierung der Malerei» spiegelt sich auch in den Titeln und Angaben zu seinen Zeichnungen. Die Zusammenarbeit von Eggeling und Richter war eng und intensivierte sich ab 1919 in Klein-Kölzig bei Berlin, wo die beiden bei Richters Eltern wohnten. Von ihren Rollenbildern, auf denen sich geometrische Formen wie im Takt folgen, war der Weg kurz zum real bewegten Bild im Film. Eggelings Zeichnungen sind Annäherungen zum Film Symphonie diagonale (1923). Richter realisierte zuvor seinen ersten abstrakten Film Rhythmus 21. Die beiden Protagonisten des «absoluten Films» fehlen in keiner Bibel der Moderne. Seite an Seite sind sie im Buch Neuer Künstler (1922) und in Die Kunstismen (1925) prominent vertreten.

«Le plus grand peintre suédois», wie Francis Picabia Eggeling in seiner Zürcher Ausgabe von 391 nannte, wurde erst 1919 während der letzten Zürcher Dada-Saison namentlich publik. Er gehörte – wiederum gemeinsam mit Richter – zu den Unterzeichnern des Manifests der Gruppe «Radikale Künstler / artistes radicaux» und beteiligte sich an der nur bis zu den Druckfahnen gediehenen Zeitschrift Zürich 1919. Für seine im Kunstsalon Wolfsberg ausgestellten Landschaften erhielt er viel Lob, während seine abstrakten Zeichnungen ratlos machten, weil sie «nach ihrem wahren Wert nur von denen erkannt werden können, die in die Absichten und Theorien des Künstlers eingeweiht sind ....» (Züricher Post). Seine Zeichnungen erschienen auch in Dada 4-5, darunter Komposition (Basse générale de la peinture. Extension) und in Der Zeltweg. Diese Abbildungen akzentuieren, wie sehr abstrakte Künstler ein integraler Bestandteil von Dada Zürich waren. Tzara, der im Rahmen von Dada Zürich mehrmals über abstrakte Kunst referierte, packte diese Kohabitation in die Formel «Dada est l’enseigne de l’abstraction». Auch Eggeling hielt an der achten und letzten Dada-Soirée im Veranstaltungsort Kaufleuten einen Kurzvortag Über abstrakte Kunst. Wohlweislich setzte man diesen an den Anfang des vielseitigen Programms, das angeblich tumultuös endete.

Provenienz: Geschenk von Prof. Dr. Alexander Weilenmann, Pittsburgh 1970. Gemäss eigenen Angaben erhielt Hans Richter diese Zeichnung von Viking Eggeling 1918 bei ihrem ersten Zusammentreffen in Zürich als Geschenk; danach soll sie via Hans Arp zu Tristan Tzara gelangt sein. (Richter, Dada – Kunst und Antikunst, 1964). Erste Ausstellungen: München, Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung; Hannover, Sprengel Museum, Dada. Eine internationale Bewegung 1916 – 1925, 1993. Zürich, Kunsthaus, Dada global, 1994.


→ Hans Richter, Dada-Kopf, Z.Inv. 1977/64
→ Hans Richter, Kaiser Wilhelm als Befehlshaber des Todes, Z.Inv. 1977/44
→ Hans Richter, Plakatentwurf zur 1. Dada-Ausstellung in der Galerie Corray, DADA V:80