Hans Arp, Prä-Dada-Zeichnung, um 1915

Durch seine Studien in Weimar, Paris und als Mitbegründer des «Modernen Bundes» verfügte Arp über einige künstlerische Erfahrung und zahlreiche Kontakte, als er im Herbst 1915 nach Zürich kam. «Angeekelt von den Schlächtereien des Weltkrieges 1914, gaben wir uns in Zürich den schönen Künsten hin», notierte er rückblickend in seinem Essay „Dadaland“ (1938). Er wollte «eine elementare Kunst, die den Menschen vom Wahnsinn der Zeit heilen und eine neue Ordnung, die das Gleichgewicht zwischen Himmel und Hölle herstellen sollte». Seine Kunst und Weltanschauung suchten nach Transzendenz. Noch vor der Eröffnung des Cabaret Voltaire hatte Arp seine gestalterischen Prinzipien gefunden und sich von der Ölmalerei und dem rein Figurativen abgewandt. In der Galerie Tanner zeigte er im November 1915 neben Gestaltungen in Tusche und Kohle auch solche in Wolle und Seide. Ob sich diese Prä-Dada-Zeichnung unter den zehn ausgestellten Arbeiten in Tusche befand, ist ungewiss. Im Eingangsbereich der privaten Pestalozzischule Zürich schufen Arp und Otto van Rees 1916 im Auftrag des Schuldirektors und Galeristen Han Coray mit einem zweiteiligen abstrakten Wandbild eine Pionierarbeit der Moderne. In der engen Zusammenarbeit mit Sophie Taeuber fanden die geometrischen Formen bald zu konkret-konstruktiver Klarheit, auch dann, wenn er das Gesetz des Zufalls spielen liess. Unversiegbar blieb für sein Schaffen die Quelle der biomorphen Gebilde mit ihren künstlichen und doch organisch anmutenden Formen, die er beseelte, ab- und verwandelte. In dieser Prä-Dada-Zeichnung ist Arps Biomorphismus bereits angelegt. Die abstrakte Konfiguration öffnet Assoziationsräume in die Natur. Aus seinen Pariser und Kölner Dada-Blättern, ebenso aus Reliefs und Skulpturen spricht weiterhin das heitere Naturwesen von Arp.

Ebenso wie Tristan Tzara und Marcel Janco gehörte Arp zu den omnipräsenten Dadaisten in Zürich und er schuf den wichtigsten bildkünstlerischen Beitrag. Seine Werke waren an allen Ausstellungen zu sehen und regelmässig in den Dada-Publikationen abgebildet – von Cabaret Voltaire über die Zeitschriften Dada und Der Zeltweg bis hin zu den illustrierten Poesiebändchen der Collection Dada. «Arps dekorative Bestrebungen», deren Fundament Waldemar Jollos würdigte (Neue Zürcher Zeitung), prädestinierten ihn zum Gestalter von Zeitschriften- und Buchumschlägen, insbesondere auch der Variant- und Luxusausgaben. Selbstironisch kommentierte er seine bedeutende Präsenz im Gedichtband die wolkenpumpe (1920):
«ARP ist einer der fünf grossen dadaistischen päpste / begründer des dadaismus / originaldada / echter spiegelgassedada [...] jedermann weiss es / jedes kind kennt ihn / jeder greis grüsst ihn ehrfürchtig und raunt dazu ah / da kommt der ARP»

Als Dichter wurde Arp zunächst nur am Rande wahrgenommen. Aus die wolkenpumpe las erstmals sein Freund Lucian H. Neitzel, als Derwisch auf einem Teppich sitzend, im Rahmen eines Kostümfests der Laban-Tänzerin Mary Wigman im März 1917. Wenn man bei Arps Holzreliefs mit ihren anspielungsreichen Titeln von «peinture-poésie» spricht, so sind seine malerisch anmutenden Gedichte «poésie-peinture». Von «aquadadatinta» durchtränkt sind auch seine Briefe. Ein Schreiben aus dem Winter 1921 an den «spiritus rector tzar tristan», das einem neuen gemeinsamen Projekt in der Reihe Collection Dada galt, begann «dr’ärpl üs schtrosburri» mit diesem Rückblick auf Dada Zürich:
«Mein lieber Freund, mit Tränen in den hohlen Zähnen denke ich an den fruchtbaren Dichterfrühling zurück, mein Herz schlägt stürmisch, wenn ich an den grossen Dada denke, dass er originalecht in Fleisch und Blut neben mir lebte und webte – höre den Schuss, den er nur so nebenbei im Traum abgab und der den Donner der Geschütze bei der Belagerung von Verdun in den Schatten stellte – wird mir in dieser Gletscherwelt eine Zentralheizung sein.»

Provenienz: Christian Witzig, Kreuzlingen, 1986.
Erste Ausstellungen: New York, Borgenicht Gallery, Arp. Drawings and Collages, arranged by Margarete Schultz, 1962. München, Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung; Hannover, Sprengel Museum, Dada. Eine internationale Bewegung 1916 – 1925, 1993.


→ Richard Huelsenbeck und Hans Arp, Phantastische Gebete, DADA I:51
Cabaret Voltaire, DADA III:37
Dada 3, DADA III:33:3
→ Sophie Taeuber und Hans Arp mit Marionetten für König Hirsch, DADA VI:1