Marcel Janco, Plakatentwurf zu Chant nègre, 1916

Dieser Plakatentwurf entstand im Hinblick auf die Aufführungen von Chant nègre I und II im Cabaret Voltaire und wurde in der Anthologie Cabaret Voltaire und einem späteren Programmblatt abgebildet. Dass Marcel Janco seine Kohlezeichnung 1922 nochmals in der rumänischen Avantgarde-Zeitschrift Contimporanul auf den Umschlag setzte, widerspiegelt die grosse Bedeutung dieser Arbeit für ihn. Afrikanische und ozeanische Kunst, Dichtung und Musik waren wichtige Inspirationsquellen für Dada Zürich. Auf der Suche nach künstlerischen Alternativen wurde die positive Auseinandersetzung mit zur Kolonialzeit als «Negerkunst» bezeichneten Objekten zu einem formalen Fundus. Die Dadaisten standen damit in einer Traditionslinie, wie sie sich z. B. im Almanach Der Blaue Reiter (1912) und in Carl Einsteins Studie Negerplastik (1915) zeigt. In Dada siegt! (1920) schrieb Richard Huelsenbeck vom «Sinn der Primitivität – Dada, das Kinderlallen, Hottehotte – die Primitivität, die das Zeitalter durch seine Vorliebe für Negerplastik, Negerliteratur und Negermusik anzudeuten schien.»

Während über Jancos Quellen für seine Bezugnahme auf die «Negerkunst» nur wenig bekannt ist, bediente sich Tristan Tzara für die von ihm «aufgefundenen und übersetzten» Verse bei wissenschaftlichen Veröffentlichungen aus den Beständen der Stadtbibliothek. Für die Chants nègres, die in schwarzen Kutten mit grossen und kleinen exotischen Trommeln aufgeführt wurden, erhielten die Dadaisten Unterstützung vom Wirt des Dada-Etablissements, «der sich vor Zeiten bei afrikanischen Kulturen des längeren aufgehalten und als belehrende und belebende Primadonna mit um die Aufführung wärmstens bemüht war» (Hugo Ball).

Besonders kreativ und produktiv wurde Jancos Auseinandersetzung mit aussereuropäischen Kulturen und Bildsprachen in der Gestaltung von Masken und Kostümen. Die Wirkung der aus bemaltem Karton, Sackleinen, Schnur und Drähten gefertigten Masken, die oft mehr als nur das Gesicht abdeckten (und bei einer Aufführung auch elektrisch beleuchtet waren), war für Beteiligte und Publikum aussergewöhnlich. Hugo Ball: «Wir waren alle zugegen, als Janco mit seinen Masken ankam und jeder band sich sogleich eine um. Da geschah nun etwas Seltsames. Die Maske verlangte nicht nur sofort nach einem Kostüm, sie diktierte auch einen ganz bestimmten pathetischen, ja an Irrsinn streifenden Gestus. Ohne es fünf Minuten vorher auch nur geahnt zu haben, bewegten wir uns in den absonderlichsten Figuren, drapiert und behängt mit unmöglichen Gegenständen, einer den anderen in Einfällen überbietend.»

Der Plakatentwurf ist oben zu beiden Seiten beschädigt. Vollständige Abbildungen finden sich in: Cabaret Voltaire, S. 17 und Programmblatt zur Sturm-Ausstellung II. Serie, Galerie Dada, 1917. Provenienz: Der Plakatentwurf gelangte 1968 in der Auktion «Teile der Bibliothek und Sammlung Tristan Tzara (Kornfeld und Klipstein, Dokumentations-Bibliothek III, Bern)» in den Handel. Die Vereinigung Zürcher Kunstfreunde erwarb das Blatt für das Kunsthaus 1980 aus einer Privatsammlung.
Erste Ausstellungen: Düsseldorf, Kunsthalle, Dada. Dokumente einer Bewegung, 1958. Amsterdam, Stedelijk Museum, Dada, 1958/59. London, Arts Council, Dada and Surrealism reviewed, 1978.


Cabaret Voltaire, DADA III:37
→ Marcel Janco, Plakat zur Soirée Tristan Tzara im Zunfthaus zur Meisen, DADA V:47
Dada 3, DADA III:33:3