Hans Richter, Dada-Kopf, 1918

Hans Richter, der von Herbst 1916 bis Frühling 1919 in Zürich weilte, wurde durch seine zahlreichen Porträts Chronist des engeren und erweiterten Dada-Kreises. Das Porträt wurde ihm seit seinen ersten Zeichnungen, die er als Vierzehnjähriger von Freunden, Klassenkameraden, Lehrpersonen und Familienangehörigen machte, zum vertrautesten Genre. Folgt man den Porträts von Richter chronologisch, so geht man den Weg der Abstraktion, zu der er spät fand. Aus seiner Berliner Zeit stammen die figürlichen Charakterköpfe des «Oberdada» Johannes Baader und «Dadasophen» Raoul Hausmann.

In einer Übergangsphase malte Richter Visionäre Porträts, von denen er 1918 eine ganze Serie in einer Kollektivausstellung im Kunstsalon Wolfsberg ausstellte. Sie entstanden in der Dämmerung, die Farben kaum mehr erkennbar, mit starkem inneren und schwachem äusseren Auge gefertigt. Die nachfolgenden gezeichneten Porträts von Han Coray, Tristan Tzara, Walter Serner u.a. changieren zwischen Abstrahiertem und Abstraktem und sind Vorläufer der Dada-Köpfe. Den entscheidenden Anstoss für deren rigorose Form erhielt Richter von Ferruccio Busoni, der 1915 in die Schweiz immigriert war. Der italienische Pianist, Komponist und Dirigent riet Richter, das musikalische Prinzip des Kontrapunktes auf seine Zeichnungen anzuwenden, weil seine Versuche mit positiven und negativen Formen, seine «schwarz-weiss-Besessenheit» diesem Verfahren entsprächen. Fünf dieser Köpfe durchwirken als markante Fixpunkte die französische und deutsche Ausgabe von Dada 3, worin sie erstmals erschienen. Bei Richters Passion für Porträts erstaunt es nicht, dass er spätere Erinnerungen an Menschen, die sein Leben begleiteten, unter dem Buchtitel Köpfe und Hinterköpfe subsumierte.

In Richters erste Phase der Abstraktion fiel seine Begegnung mit Viking Eggeling, die ihn direkt an seine experimentellen Filme heranführte. Die Bühnenbilder, die er 1919 mit Hans Arp zusammen für die 8. Dada-Soirée im Saal zur Kaufleuten malte, scheinen kommende künstlerische Realisationen vorwegzunehmen. «Auf endlos langen Papierstreifen, ca. 2m hoch, begann Arp von einer Seite und ich von der anderen mit schwarzer Farbe Abstraktionen hinzumalen. Arps Formen sahen wie riesige Gurken aus. Ich folgte seinem Modell, und wir malten schliesslich kilometerlange ‚Gurkenplantagen‘, wie ich sie nannte, bis wir uns in der Mitte trafen. Dann wurde das Ganze auf Holzstücke genagelt und bis zur Vorführung aufgerollt» (Richter). Diese Kulisse diente für eine Aufführung von Laban-Tänzerinnen, zu denen die Dadaisten künstlerische und persönliche Affinitäten hatten. Richter sah die Tanzschule von Rudolf von Laban als geradezu «himmlischen» Kontrapunkt zum «irdischen Hauptquartier» im Café Odéon. Zahlreiche Freundschaften und Partnerschaften, so Richters Heirat mit der Tänzerin Maria Vanselow, sind Ausdruck dieser «aventures célestes».

Provenienz: Geschenk von Frida Richter aus dem Nachlass des Künstlers, 1977. Im Kunsthaus Zürich befinden sich 41 Zeichnungen von Hans Richter aus der Zeit von 1916 bis 1918.
Erste Ausstellungen: Zürich, Kunsthaus, Dada in Zürich, 1980; Berlin, Akademie der Künste; Zürich, Kunsthaus; München, Städtische Galerie, Hans Richter, 1982.


→ Hans Richter, Kaiser Wilhelm als Befehlshaber des Todes, Z.Inv. 1977/44
→ Hans Richter, Plakatentwurf zur 1. Dada-Ausstellung in der Galerie Corray, DADA V:80
→ Viking Eggeling, Komposition, Z.Inv. 1970/2