Hugo Ball, Ein Krippenspiel. Bruitistisch, 1916

Ende Mai 1916 wurden die Besucher des Cabaret Voltaire mit einem von Hugo Ball geschriebenen Krippenspiel überrascht. Die Überraschung lag nicht nur im Aufführungsdatum, sondern auch in der Art der Inszenierung: Dieses dadaisierte «Stille Nacht» wurde wortarm, dafür mit Schnauben, Nebelhörnern, Okarina, Peitsche, Zymbeln, Pfannen und einer Lichtmaschine zelebriert. Der Autor selbst bezeichnete es als bruitistisch und simultan. Bei keiner anderen Aufführung trat das Cabaret-Team so geschlossen auf wie bei diesem Spiel in sieben kurzen Akten. Die Regieanweisungen führen an: Hans Arp («bäh, Strohgeräusch»), Ball («Der Wind»), Emmy Hennings («Schlaflied», «Propellergeräusch für den Engel»), Marcel Janco («Lichtapparat: flutet weiss weiss weiss weiss weiss»), Marietta di Monaco («ia, ia, ia»), Tristan Tzara («kleine Laute, Peitschenknallen») und den befreundeten Buchhändler Johann Schalk («muh, Schlüssel»). Die «Tutti»-Passagen waren ein seltenes Dada in corpore. Dem bruitistischen Charakter entsprechend schrieb Ball von «Orchestermitgliedern». In der Stall-Szene wandten sie, umschlungen von schwarzen Tüchern, dem Publikum den Rücken zu und richteten den Blick auf den französisch sprechenden Josef, auf Maria und die im Saaldunkel leuchtende Kerze.

Die Inszenierung, bei der die neunjährige Tochter von Emmy Hennings «ob all der Farben und des Taumels ausser Rand und Band geriet» (Hugo Ball), wirkte auf das Publikum nicht als Affront. Balls Sprachexperimente waren so subtil arrangiert und von Grund auf gedacht, dass kaum Raum für Lachen und Gelächter blieb. So auch seine Lautgedichte («Verse ohne Worte»), die er erstmals am 23. Juni 1916 vortrug. In kubistischer Körpereinhüllung und mit zylinderartigem Schamanenhut wurde er als schweissbedeckter magischer Bischof von der Bühne in die stille Versenkung getragen. Ball war kein sprachlicher Spassapostel, sondern führte die Literatur als «heiliger Hugo» zu einem schöpferischen Nullpunkt.

Typoskript mit handschriftlichen Regieanweisungen und Notizen von Hugo Ball. 2 Doppelbogen festes Schreibmaschinenpapier und 1 Bogen Büttenpapier. Provenienz: Geschenk von Annemarie Schütt-Hennings, Agnuzzo, 1967.


Cabaret Voltaire, DADA III:37
→ Karl Schlegel, Einladungskarte zur Eröffnung der Künstler-Kneipe Voltaire, DADA V:49