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»DER ARARAT« HEFT 10
FRANKREICH
Pariser Malerinnen
In den verschiedenen Perioden aller Kunst haben
sich stets neben den großen Schöpfern und Führern,
die asketisch um neue theoretischeStrukturen kämpften,
Gruppen gebildet, die mehr mit dem Gefühl und In
stinkt, als mit dem konstruktiven bewußten Willen
die Notwendigkeit derZeit erfühlten und ausdrückten.
Dies war fast immer Rolle der Frauen. Und so mag
es interessant sein, eine Reihe künstlerisch=wertvoller
Malerinnen unserer Generation in Paris zu betrachten,
in denen sich die verschiedenen Techniken und mo=
dernen Kunstformen umwandeln.
Eines sei ihnen zuerkannt: sie haben sich fast alle
vom doktrinären Kubismus ferngehalten. Wenn auch
seinEinfluß überall durchschaut, so hat sich doch keine
der Frauen völlig in die gegenstandslose abstrakte
Kunst gewagt. Freilich laufen sie dann zuweilen die
andre Gefahr: zu literarisch oder zu kunstgewerblich
zu werden. Aber auch in dieser Entgleisung drückt
sich immer noch mehr die echte Frau aus, als in dem
ihr so wesensfremden mathematischen Aufbau,- denn
es ist und bleibt weibliche Bestimmung lyrisch zu sein.
Unbestreitbar haben besonders drei Maler auf die
heutige Generation einen unbezwinglichen Eindruck
ausgeübt: Rousseau, Matisse und Picasso. Demnach
wird wohl die Stärkste der Frauen jene sein, die am
unverfälschtesten ihre Individualität bewahrt hat: das
ist Marie Lauren^in. Sie, die am nächsten Picasso
gelebt und allen Wandlungen des Meisters zugesehen
hat, ist sich trotzdem niemals untreu geworden. Diese
graziöseste aller Gallierinnen hat ein nur ihr eigenes
Spiel von Licht und Schatten, eine liedhafte Art sich
auszudrücken, die zarte französische Palette, die bei
nah traditionell zu Watteau und Fragonard eine
Brücke bildet.
Ihr verwandt ist Irene Lagut. Stern= und kinder*
äugig sieht sie die Welt. Die originelle Naivität in
ihren Bildern läßt hoffen, daß sie einmal alle Einflüsse,
vor allem den Seurats, überwinden wird. Man kann
bei Lagut und Laurencpin die unwirklichsten see=
lischsten Pferde, Vögel und Hunde finden. Geschöpfe
aus Märchen, Fabelwesen. Sie dichten ihre Tiere.
Bei Helene Perdriat umschlingen sich kränkliche,
stilisierte Rehe. Das Lieblingstier des Parisers: die
Mela Mutes Bildnis Henri Barbusse (Gemälde) 1920