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Lotengespräch
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Freiherr von Knigge: Die Habsucht ist eine der unedelsten, schänd
lichsten Leidenschaften. Man kann sich keine Niederträchtigkeit denken, deren
ein Habsüchtiger nicht fähig wäre, wenn feine Begierde nach Reichtümern ins
Spiel kommt. Das hat sich in meiner Zeit auf Individuen bezogen, heute
könnte ich es noch besser auf Völker anwenden. Ich habe über den Umgang
mit Menschen geschrieben, wenn ich jetzt lebte, würde ich über den Umgang
mit Völkern schreiben müssen.
Hugo (Arotius: Das dürfte unnötig sein, euer Gnaden. In meinem
Buch äe jure belli sc pacis habe ich längst alles nötige festgelegt, ehe vom
Umgang mit Menschen die Rede ging. Man liest es auch und ich kann mit
Stolz vermerken, daß mein Name nicht allzu selten in den Zeitungen vorkommt,
wissen, euer Gnaden, was das bedeutet in den Zeitungen! Ich wüßte es auch
nicht, hätte mich nicht ein jüngst verstorbener Zeitungsschreiber darauf auf
merksam gemacht und mir gesagt: Die Zeitungen sind das Gewissen der Welt.
Freiherr von Rnigge: DieZeitungsschreiberhabensicheinRapellchen
erbaut, das sie den Tempel des Ruhms nennen, worin sie den ganzen Tag
Portraits anschlagen und abnehmen und ein Gehämmer machen, daß man sein
eigenes Wort nicht hört. Das Portrait des Herrn Geheimbderats scheint jüngst
auch darunter gewesen zu sein. Der Augenschein lehrt aber, daß man es bald
wieder herunter genommen hat.
Hugo Grotius: So oft die Völker Rrieg führen, das heißt die
Formen revidieren, mit denen sie beflissen sind, untereinander zu verkehren,
sprechen sie von mir und, was gleichbedeutend ist, von der Dame Justitia, der
Gerechtigkeit.
Freiherr von Knigge: wenn ich Sie recht verstehe, so meinen
Sie, daß Gerechtigkeit im Verkehr der Staaten ungefähr dasselbe bedeutet,
das ich beim Umgang der Menschen mit Höflichkeit bezeichnet habe. Aber Sie
werden nicht leugnen können, daß man auf beiden Seiten höflich, aber nicht auf
beiden Seiten gerecht sein kann, wenigstens in Bezug auf den Anfang des ent
schieden schlagfertigen Verkehrs, den Sie unter dem Namen Rrieg im Auge haben.
Hugo (Arotius: Rlar läßt sich die von vielen behandelte Frage
beantworten, ob ein Rrieg in Beziehung auf die vornehmsten Urheber desselben,
von beiden Seiten gerecht sein könne. Das Wort gerecht hat verschiedene Be
deutungen, bald nach der Ursache, bald nach der Wirkung. Nach der Ursache
in dem engeren Sinn von Recht oder in dem allgemeinen des überhaupt ange
messenen. Jm engeren Sinn unterscheidet es sich wieder nach dem Werk und
nach dem Handelnden. Denn von dem Handelnden sagt man mitunter, daß