Pablo Picasso, «Masque d’homme»
Picasso war bisher als Plastiker in der Sammlung des
Kunsthauses lediglich mit einem einzigen, freilich wichtigen
Werk vertreten, nämlich mit dem «Frauenkopf» von 1910' —
großartiges Beispiel einer Anwendung der kubistischen Ge-
staltungsprinzipien auf das Gebiet des Dreidimensionalen. Die
Einzelformen dieses Kopfes sind einer konsequenten rhythmi-
schen, sowohl körperliche als auch räumliche Energien be-
freienden kubistischen Facettierung unterworfen. Diese be-
rühmte Arbeit erfährt nun eine sinnvolle Ergänzung durch
die «Masque d’homme»*, eine Schöpfung des zwanzigjährigen
Picasso, von 1901 also, die, erst kürzlich aufgefunden und
gegossen, aus Pariser Kunsthandel erworben werden konnte
— es gehört eben mit zu den Eigentümlichkeiten des «Phäno-
mens Picasso», daß dieser Künstler, als ein ewiger Proteus,
nicht nur in seiner jeweils aktuellen, gegenwärtigen künstleri-
schen Tätigkeit stets aufs neue wieder zu überraschenden
Wandlungen und «Sprüngen» ansetzt; vielmehr birgt auch
sein frühes Schaffen noch immer viel an Ungehobenem, so
daß, wenn ein solches Zeugnis plötzlich an die Oeffentlichkeit
tritt, neue ungeahnte Perspektiven und Einsichten resultieren
können.
Das gilt in hohem Maß für die «Masque d’homme»:
sie bereichert unser Bild von Picassos Anfängen als Plastiker
in mannigfacher Hinsicht. In der nicht kompletten, aber voll-
ständigsten Zusammenstellung der plastischen Arbeiten
Picassos, dem Abbildungsband von D.H. Kahnweiler®, figu-
riert als frühestes Beispiel die Kleinbronze einer kauernden
Frau aus dem Jahr 1899, voll genrehaft «naturalistischer»
Diktion, wie sie für die Barceloneser Anfänge Picassos über-
haupt kennzeichnend ist. Als nächstes Werk folgt bei Kahn-
!ı D. H. Kahnweiler, Les sculptures de Picasso, Paris 1948, Abb. 8.
° Bronze. 19X14,5X12 cm; bez.: 2/6 Gießerstempel Valsuani, Paris
Kahnweiler. a. a. 0... Abb. 1.