Innerlichkeit als «memoria mortis» eines zu früh vom Tod
Ereilten zu dienen. Das heißt schon sehr viel: weil das Grab-
mal wie kaum eine andere künstlerische Gattung in elementa-
ren Bereichen des Lebens wurzelt, die sich nicht willentlich
beeinflussen und manipulieren lassen, deshalb waren und sind
seine Gefährdungen seit dem 19. Jahrhundert auch um so
stärker; deshalb ist es denn auch auf dem Feld der modernen
Grabmalgestaltung zu den monströsesten Geschmacksentglei-
sungen gekommen, Ihnen wäre Lehmbruck nicht erlegen.
Mit der «Stehenden weiblichen Figur» hatte Lehmbruck
1910 in Paris unter der Einwirkung Maillols sein erstes Mei-
sterwerk geschaffen, voll Harmonie, klassischer Ausgewogen-
heit und mediterraner Lebenssicherheit. Bereits ein Jahr später
aber setzte sich eine tiefgreifende Wandlung durch — in der
großen «Knienden» ist jede Spur eines «griechischen» Propor-
tionsschemas getilgt und der Körper einem Längungs- und
Dehnungsprozeß unterworfen, der die Gestalt zum Gefäß
motivationsfreier Empfindungsströme macht, sie demütig, an-
dächtig, versunken einem die eigene Individualität überstei-
genden irrationalen Geschehen ausliefert. Das bleibt fortan
die vorherrschende Stimmung in den wenigen großen Schöp-
fungen und den sie begleitenden kleineren Arbeiten, mit
denen Lehmbruck bisweilen — das gilt zumal für die Torso-
entwürfe — Experimente anstellt. Bis zuletzt jedoch ist aus-
schließlich der Mensch das zentrale Anliegen von Lehmbrucks
Kunst. Ihre Vorwürfe betreffen allgemeine, «existentielle»
Daseinsgebärden und Konstellationen: die Kniende, der
Emporsteigende, der Gestürzte, der Sitzende. Die inhaltlich
fixierte Thematik, christliche, mythologische Motive, spielen
eine verschwindend geringe Rolle, ein Indiz für den Umstand,
daß Lehmbruck auch in ikonographischer Hinsicht nicht mehr
in einem durch die Tradition gesicherten und gespeisten Raum
arbeitete.
Die «Betende» ruft zwar die Erinnerung wach an ein
Thema der christlichen Ikonographie, nämlich die «Büßende
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