bögen steht darüber ‘Höchsten Heiles Wunder, Erlösung
dem Erlöser’' zu lesen. Mit den zusätzlichen Inschriften
Parsifal und Amfortas werden, in Abwesenheit mensch-
licher Handlungsträger, mythische Orte und Helden
evoziert, die die rote Farbe zu «Blut» gerinnen lassen, die
Waschschüssel zur «Reliquie des lebendigen, lichtspen-
denden Blutes des Gekreuzigten im Wunder des hl. Gral.
Parsifal, der reine Tor, der Heilung bringt, Amfortas, der
sündige König, der an der Wunde leidet, sie werden durch
die Schlussverse von Richard Wagners Bühnenweihfest-
spiel, in dem er den höchsten Mysterien des christlichen
Glaubens Gestalt geben wollte, in uns aktiv. Und damit
auch das Wissen um das Auseinanderfallen der Vorstellung
des erlittenen Kreuztodes als Vorbild und der losgelösten
Wunde als theatralischer Diskurs über das Leiden, das nicht
mehr selbst erlebt. sondern symbolisiert wird.»3
Ist uns Heutigen die Grals-Thematik vor allem durch die
Überlieferung (und Interpretation) in Richard Wagners
Opern gegenwärtig, so bezog sich der grosse Komponist
seinerseits bereits auf verschiedene Überlieferungen der
Sage, wonach der Gral «ein geheimnisvoller, heiliger Gegen-
stand [ist], der seinem Besitzer irdisches und himmlisches
Glück verleiht, den aber nur der Reine, dazu Vorherbe-
stimmte finden kann».* In der deutschen Fassung von
Wolfram von Eschenbach ist der Gral ein Stein mit
wunderbaren Kräften, der auf einer einsamen Burg aufbe-
wahrt wird, die nur Auserwählte finden. Der Ritterorden
der Tempelherren diente ihm unter der Herrschaft des
Grals-Königs. Zugleich ist der Gral auch die Schüssel des
Abendmahls, in der Joseph von Arimathia Christi Blut am
Kreuz aufgefangen haben soll. Die «Mehrdeutigkeit» der
Grals-Symbolik in der mittelalterlichen Dichtung, die den
segensspendenden Stein zum einen mit der Artus-Eptik
(Ritterorden der Tempelherren) und zum anderen mit dem
Abendmahl (und damit dem Opfertod Christi) verbindet,
scheint denn auch die jeweilige Akzentuierung in der Bild-
gestaltung der jüngeren Schweizer Künstler geprägt zu
haben.
Bei Dobler wird die Kreuzform im Wortsinn mehr-
schichtig thematisiert oder zitiert: mit den Schokolade-
kreuzen (in der Form des «christlichen» Kreuzes als
Symbol des Opfertodes) und mit den diese überkreu-
zenden «Andreas-Kreuzen», die durch die Wattestäbchen
gebildet werden; zum anderen durch die überdeutlich
herausgebildete Heraldik in der Komposition der Alltags-
gegenstände, die die banalen Objekte zu einer Art Ordens-
zeichen überhöht. Auf diese Dimensionen weist Dobleı
mit der Bezeichnung «Gral» hin, jedoch ohne die Tragweite
dessen zu thematisieren. Dobler erzählt nicht, er verschlüs-
selt, wozu die Verwendung des Andreas-Kreuzes (das seinen
Vornamen enthält) noch beitragen mag. Wenngleich dieses
Bild (wie auch seine anderen in derselben Zeit entstan-
denen Arbeiten) durch die darin symbolisierte Fetischisie-
rung von Konsumgütern zweifelsohne gesellschaftskri-
tisch zu verstehen ist, geht es Dobler meines Erachtens
nicht primär um die Entlarvung der Konsumgesellschaft
mittels einer zynischen Verfremdung, sondern um
ironische Assoziationen, die eine Nicht-Identität des
Künstlers ebenso sehr meinen wie sie ım Titel das Sugge-
stive des Bildes mit beschwören.
Das heraldische Moment geht der Komposition von Rut
Himmelsbach weitgehend ab, selbst wenn die Assemblage
von Fotoleinwänden und Bildtafeln formal ebenso eine
«zentrierte» Lösung anstrebt, wie Doblers Gral. Ihr Gral
wird nicht über das verfremdete und solcherart mehrdeu-
tige Bild- und Textzitat evoziert, wie bei Kiefer, nicht durch
die heraldische Übersteigerung von Alltagsgegenständen,
wie bei Dobler; die Ironie der Kompositionsweise des
jüngeren Kollegen ist hier gewissermassen der Affirmation
gewichen, indem das Mittelteil als abstrakte Gestaltung so
etwas wie ein unbestimmtes, ruhiges, vielleicht heilsspen-
dendes Licht zum Erleuchten bringt. Verstärkt wird dieser
Eindruck durch die undifferenziert gehaltenen Blau-
flächen links und rechts aussen sowie das Aufeinander-
treffen der symmetrischen Rosettenformen des Brotes und
der Steinplatten, die formal und inhaltlich aufeinander
Bezug nehmen. Die Erhabenheit des Ausdrucks stellt sich
über die innere Balance der sich entsprechenden, in sich
selbst kreisenden Teilstücke her: die Plattenrosette, das
«runde» blaue Licht, den Brotkranz. Darüber hinaus ist
dem Interpretieren des Betrachters freier Lauf gelassen:
wird der Brotlaib in diesem Zusammenhang vielleicht
direkt mit der Abendmahlsthematik korreliert. — in Beto-