Volltext: Jahresbericht 1987 (1987)

Figuren und Gegenstände heraus, ohne dass dabei Abbild- 
haftigkeit angestrebt wird. Die skizzenhafte, skripturale 
Form fixiert nicht im Eindeutigen, sondern bietet dem 
Zetrachter vielfache Interpretationsmöglichkeiten. Dem 
entspricht die Neuartigkeit der Farbe: Droese verwendet 
keine reinen Farben, da er deren Effekte für allzu 
verbraucht hält, sondern erzeugt statt dessen merkwürdige 
Mischtöne, die in ihrer Gebrochenheit emotionell anzu- 
sprechen vermögen. Sie entstehen als eine Art Zufallspro- 
dukte, indem der Künstler mit Pinseln arbeitet, die er in 
einem Behälter mit Wasser und Terpentin aufbewahrt und 
die mit ihren Farbresten und Zufallsverschmutzungen 
immer wieder zu überraschenden Mischungen beitragen. 
Durch die Verdünnung mit Wasser entstehen Schlieren 
and unterbrochene Farbverläufe, die für die Phantasie des 
Betrachters in Verbindung mit der Offenheit der Formen 
iusserst anregend sind. Das Material selbst wird auf diese 
Weise zum Ausdrucksträger. 
Droeses Arbeiten kreisen um Themen von Schmerz und 
Trauer, von Schuld und Erlösung, von Freiheit und Verant- 
wortung. Eine zentrale Rolle spielt dabei das Motiv des 
Schiffes. Die Schiffsreise oder Bootsfahrt ist seit der Antike 
eine Metapher des menschlichen Lebens. Bei der Gleichset- 
zung von Meerfahrt und Schicksalsfahrt werden sowohl 
das Schiff als auch das Meer symbolisch interpretiert. Wie 
stark bei Droese die «Schiffahrt» die Gefährdungen des 
Lebens versinnbildlicht, zeigt zum Beispiel das Blatt von 
(1982, das die Dynamik eines vom Sturm gepeitschten 
Meeres erfasst, auf dessen hochschiessenden Wellen ein 
Segelboot schaukelt.? Eine mit einem einzigen Pinselzug 
durchgezogene Schlaufe verbildlicht mit ihrer Eigenbewe- 
gung den Mast und zugleich das Flattern des Segels. Der 
Halbkreis des Schiffsbugs setzt sich in einer Art Galions- 
figur mit weit ausgebreiteten Armen fort, auf die der Regen 
in Strömen herniedergeht. Die Farbe, die mit so trockenem 
Pinsel aufgetragen ist, dass der Grund des Papiers hin- 
durchscheint, bringt in ihren graubraunvioletten Tönen die 
düstere, bedrohliche Stimmung zum Ausdruck. Nur im 
Innern des Bootes ist die Farbe flüssig aufgebracht, so dass 
beim Auftrocknen die wässrigen Ränder stehengeblieben 
sind, was Assoziationen an eine mit Flüssigkeit gefüllte 
Schale weckt. Tatsächlich können in mehreren Blättern 
Droeses die Formen sowohl als Schiff wie auch als Schale 
interpretiert werden, wobei die Schale häufig mit dem 
Ritual der Taufe in Verbindung steht. 
Felix Droese hat dadurch, dass er an der Nordsee aufge- 
wachsen ist, eine besondere Beziehung zum Meer aufbauen 
können. Von seinem dritten bis zu seinem sechzehnten 
Lebensjahr wohnte er auf der nordfriesischen Insel Nord- 
strand, und als er 1960 ins Gymnasium kam, fuhr er jeden 
Tag über den Damm, der die Insel mit dem Festland 
verbindet, nach Husum. 1962 erlebte er persönlich die 
verheerende Flut mit, die Löcher in der Grösse von einem 
Einfamilienhaus in die Deiche riss, und er bekam eine 
Ahnung davon, wie Naturgewalten ein Leben beherrschen 
und vernichten können. Wie Eduard Hüttinger in seiner 
Deutung des Motivs des Schiffbruchs schreibt, gewinnt ın 
der christlichen Kunst «der verzagte, der Hilfe bedürftige 
Mensch Kraft in seiner Hoffnung auf den „Steuermann 
Christus”; Gott offenbart sich als die barmherzige, rettende 
[nstanz... Vor diesen Horizont hat man die Sturm-, Sint- 
flut- und Schiffbruchdarstellungen in der christlichen 
Kunst zu rücken».? Solche Vorstellungen sind dem in 
einem altkatholischen Elternhaus aufgewachsenen Droese 
nicht fremd, und es gelingt ihm, mit der Daseinsmetha- 
phorik der Schiffahrt der eigenen existentiellen Betroffen- 
heit eine allgemeingültige Form zu geben. In der Trilogie 
«Der Mensch verlässt die Erde» von 1983/84 spielt er mit 
der Schiffsszene auf Sebastian Brants «Narrenschiff» an.“ 
Das steuer- und segellose Schiff, in dem die Narren ihr 
grölendes Fest feiern, wird als «verkehrte Welt» und als 
«Gegenwelt zum Schiff des Heils» interpretiert.” Aus dieser 
Narrenwelt steigt bei Droese durch den über den Horizont 
gebogenen, toten Leib in Abwandlung des Narrenschiff- 
mastes eine «Blutpflanze» als Erlösungssymbol auf.® Damit 
ist ein anderes wichtiges Thema Droeses angesprochen: der 
Kreislauf des Lebens zum Tod und die Erneuerung des 
Lebens aus dem Tod. In dem Blatt «Beweinung» von 1983 
(Abb. Nr. 21), in dem ein halbkreisförmiger Bogen den 
Körper eines Toten überwölbt, wachsen zu Häupten und 
zu Füssen des Verstorbenen graublaue Pflanzengebilde 
empor. Die Metamorphose des Todes in ein neues Leben 
lässt an die berühmten Darstellungen Munchs vom «Stoff- 
wechsel» denken. in denen aus dem Grund mit dem verwe-
	        
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