Figuren und Gegenstände heraus, ohne dass dabei Abbild-
haftigkeit angestrebt wird. Die skizzenhafte, skripturale
Form fixiert nicht im Eindeutigen, sondern bietet dem
Zetrachter vielfache Interpretationsmöglichkeiten. Dem
entspricht die Neuartigkeit der Farbe: Droese verwendet
keine reinen Farben, da er deren Effekte für allzu
verbraucht hält, sondern erzeugt statt dessen merkwürdige
Mischtöne, die in ihrer Gebrochenheit emotionell anzu-
sprechen vermögen. Sie entstehen als eine Art Zufallspro-
dukte, indem der Künstler mit Pinseln arbeitet, die er in
einem Behälter mit Wasser und Terpentin aufbewahrt und
die mit ihren Farbresten und Zufallsverschmutzungen
immer wieder zu überraschenden Mischungen beitragen.
Durch die Verdünnung mit Wasser entstehen Schlieren
and unterbrochene Farbverläufe, die für die Phantasie des
Betrachters in Verbindung mit der Offenheit der Formen
iusserst anregend sind. Das Material selbst wird auf diese
Weise zum Ausdrucksträger.
Droeses Arbeiten kreisen um Themen von Schmerz und
Trauer, von Schuld und Erlösung, von Freiheit und Verant-
wortung. Eine zentrale Rolle spielt dabei das Motiv des
Schiffes. Die Schiffsreise oder Bootsfahrt ist seit der Antike
eine Metapher des menschlichen Lebens. Bei der Gleichset-
zung von Meerfahrt und Schicksalsfahrt werden sowohl
das Schiff als auch das Meer symbolisch interpretiert. Wie
stark bei Droese die «Schiffahrt» die Gefährdungen des
Lebens versinnbildlicht, zeigt zum Beispiel das Blatt von
(1982, das die Dynamik eines vom Sturm gepeitschten
Meeres erfasst, auf dessen hochschiessenden Wellen ein
Segelboot schaukelt.? Eine mit einem einzigen Pinselzug
durchgezogene Schlaufe verbildlicht mit ihrer Eigenbewe-
gung den Mast und zugleich das Flattern des Segels. Der
Halbkreis des Schiffsbugs setzt sich in einer Art Galions-
figur mit weit ausgebreiteten Armen fort, auf die der Regen
in Strömen herniedergeht. Die Farbe, die mit so trockenem
Pinsel aufgetragen ist, dass der Grund des Papiers hin-
durchscheint, bringt in ihren graubraunvioletten Tönen die
düstere, bedrohliche Stimmung zum Ausdruck. Nur im
Innern des Bootes ist die Farbe flüssig aufgebracht, so dass
beim Auftrocknen die wässrigen Ränder stehengeblieben
sind, was Assoziationen an eine mit Flüssigkeit gefüllte
Schale weckt. Tatsächlich können in mehreren Blättern
Droeses die Formen sowohl als Schiff wie auch als Schale
interpretiert werden, wobei die Schale häufig mit dem
Ritual der Taufe in Verbindung steht.
Felix Droese hat dadurch, dass er an der Nordsee aufge-
wachsen ist, eine besondere Beziehung zum Meer aufbauen
können. Von seinem dritten bis zu seinem sechzehnten
Lebensjahr wohnte er auf der nordfriesischen Insel Nord-
strand, und als er 1960 ins Gymnasium kam, fuhr er jeden
Tag über den Damm, der die Insel mit dem Festland
verbindet, nach Husum. 1962 erlebte er persönlich die
verheerende Flut mit, die Löcher in der Grösse von einem
Einfamilienhaus in die Deiche riss, und er bekam eine
Ahnung davon, wie Naturgewalten ein Leben beherrschen
und vernichten können. Wie Eduard Hüttinger in seiner
Deutung des Motivs des Schiffbruchs schreibt, gewinnt ın
der christlichen Kunst «der verzagte, der Hilfe bedürftige
Mensch Kraft in seiner Hoffnung auf den „Steuermann
Christus”; Gott offenbart sich als die barmherzige, rettende
[nstanz... Vor diesen Horizont hat man die Sturm-, Sint-
flut- und Schiffbruchdarstellungen in der christlichen
Kunst zu rücken».? Solche Vorstellungen sind dem in
einem altkatholischen Elternhaus aufgewachsenen Droese
nicht fremd, und es gelingt ihm, mit der Daseinsmetha-
phorik der Schiffahrt der eigenen existentiellen Betroffen-
heit eine allgemeingültige Form zu geben. In der Trilogie
«Der Mensch verlässt die Erde» von 1983/84 spielt er mit
der Schiffsszene auf Sebastian Brants «Narrenschiff» an.“
Das steuer- und segellose Schiff, in dem die Narren ihr
grölendes Fest feiern, wird als «verkehrte Welt» und als
«Gegenwelt zum Schiff des Heils» interpretiert.” Aus dieser
Narrenwelt steigt bei Droese durch den über den Horizont
gebogenen, toten Leib in Abwandlung des Narrenschiff-
mastes eine «Blutpflanze» als Erlösungssymbol auf.® Damit
ist ein anderes wichtiges Thema Droeses angesprochen: der
Kreislauf des Lebens zum Tod und die Erneuerung des
Lebens aus dem Tod. In dem Blatt «Beweinung» von 1983
(Abb. Nr. 21), in dem ein halbkreisförmiger Bogen den
Körper eines Toten überwölbt, wachsen zu Häupten und
zu Füssen des Verstorbenen graublaue Pflanzengebilde
empor. Die Metamorphose des Todes in ein neues Leben
lässt an die berühmten Darstellungen Munchs vom «Stoff-
wechsel» denken. in denen aus dem Grund mit dem verwe-